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Heeßel, Nils P.; Maul, Stefan M. [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Keilschrifttexte aus Assur literarischen Inhalts (Band 5): Divinatorische Texte: II. Opferschau-Omina — Wiesbaden: Harrassowitz, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.32174#0015
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Divinatorische Texte II: Opferschau-Omina

besaß große legitimatorische Kraft. Denn die Entscheidung
beruhte nun nicht mehr allein auf dem Einfluß der entscheiden-
den Person, sondem gründete sich, da sie durch die gesellschaft-
lich akzeptierte Form der Opferschau vermittelt war, auf die
Autorität der Götter. Dieser Aspekt dürfte gerade den altorienta-
lischen Herrschern gelegen gekommen sein, bot er doch die
Möglichkeit, die Last der Verantwortung für Entscheidungen
nicht ausschließlich auf den eigenen Schultem zu tragen. 9
Andererseits bot die Opferschau damit natürlich auch ein gewis-
ses Korrektiv zur Allmacht des Königs, denn sie ermöglichte die
Kommunikation mit der einzigen dem König übergeordneten
Instanz: der altorientalischen Götterwelt.

Das Opferschau-Ritual war ein - nach allem, was wir der-
zeit darüber sagen können 10 - elaboriertes Ritual, das schon vor
Sonnenuntergang mit der Zusammenstellung der Ritual-
paraphernalia begann und bei Sonnenaufgang mit der
Schlachtung des Opfertieres und der Inspektion der Eingeweide
endete. 11 Hierbei mußte sich der Opferschauer zunächst umfang-
reichen Reinigungsriten unterziehen, zahlreiche Opferungen an
die Götter durchführen und zwei verschiedene, mit Ritualen ein-
hergehende Gebete sprechen. Letztere wurden ikrib musTti
„nächtliches ikribu-Gtbet“ genannt, und waren an die „Götter
der Nacht“ und an die Götter gerichtet, die mit der Entscheidung
und Übermittlung der Anfrage befaßt waren - vor allem Samas
und Adad, aber auch Sin, Ishara, Gestinanna, Bunene und
Nergal. 12 Der Opferschauer flüsterte die Anfrage des Opferherm
in das Ohr eines Lamms, das als Opfergabe an die Götter Samas
und Adad diente und auf diese Weise die Anfrage an die Götter
übermittelte. 13 Die Entscheidung der Anfrage oblag dem
Sonnengott Samas, dem Adad und weiteren Gottheiten assistier-
ten; die „Götter der Nacht“ - am nächtlichen Himmelszelt sicht-
bare astrale Gottheiten - fungierten hingegen als Fürsprecher
und Anwälte des Opfergebers. Neuere Forschungen haben den
Rechtscharakter des Rituals betont, 14 bei dem die Anfrage von
einem göttlichen Richterkollegium unter Leitung von Samas
entschieden wurde und dieser dann die Entscheidung in Form
des Opferschau-Befundes „in das Innere des Schafes schrieb“. 15
Bei Sonnenaufgang wurde das Schaf dann zuerst auf Fehler-

9 Siehe auch St. M. Maul, in: Jahrbuch der Akademie Göttingen, 149-160.

10 Insbesondere das neuassyrische Opferschau-Ritual für den König ist in

zahlreichen Abschriften überliefert, aus älteren Perioden sind wir über

dieses Ritual nicht annähernd so gut informiert. Unsere Hauptquelle für

die altbabylonische Zeit sind die beiden ikribu-Gebete für die rechte

und linke Seite der Leber in dem Text HSM 7494, den M. I. Hussey,

JCS 2 (1948) 21-32 für die Frage der Identifizierung der akkadischen

Termini für die Teile der Leber ausgewertet und I. Starr, Rituals, 25-106

ausführlich ediert und besprochen haben. Eine Neuedition des umfang-

losigkeit geprüft 16 und nach genau festgelegten Regeln
geschächtet 17. Anschließend wurden bestimmte Teile wiederum
unter Gebeten an Samas und an Adad geopfert und danach
begann die Inspektion der Eingeweide.

Das Schächten des Opferschafes ist der einzige Aspekt der
Opferschau, der - seit der Zeit Assurnasirpals (883-859 v. Chr.)
- auch bildlich dargestellt wurde. Auf einem Relief aus dem
Nordwest-Palast dieses Königs in Kalhu (Nimrud) werden zwei
Männer, einer mit konischer Kappe, der andere barhäuptig in
einem assyrischen Feldlager gezeigt, die einen auf einem Tisch
in Rückenlage liegenden Widder aufschneiden (BM 124548). 18
Ganz ähnliche Darstellungen finden sich auch auf Reliefs aus
der Zeit Sanheribs (705-681 v. Chr.). 19

Andere Hinweise lassen allerdings vermuten, daß das
Opferschau-Ritual durchaus auch weniger elaboriert und zeit-
aufwendig durchgeführt werden konnte. So bietet ein tamTtu-
Text innerhalb der sogenannten „cz/^-Formel“ 20 den Satz: ezib
sa rigim nakri semü „sieh davon ab, daß der (Kampfes)lärm des
Feindes zu hören ist.“ 21 Dies deutet darauf hin, daß das
Opferschau-Ritual unmittelbar vor einer Schlacht durchgeführt
wurde und dabei selbstverständlich einfacher und schneller von-
statten gehen mußte.

Spätestens seit der Wende zum ersten vorchristlichen
Jahrtausend war der richtige Zeitpunkt ein wichtiger Aspekt bei
der Durchführung des Opferschau-Rituals. 22 So wurden einige
Monate und Tage als besonders günstig für die Opferschau
angesehen, andere hingegen sollten vermieden werden. Sowohl
in Hemerologien 23 als auch in Opferschau-Kompendien 24 wur-
den bestimmte, als besonders ungünstig für die Durchführung
von Opferschauen angesehene Tage aufgelistet, insbesondere
der 1., 7., 14., 19. und 21. Tag sowie die Tage des Neumonds
vom 28.-30. eines Monats. Auswertungen von datierten neuas-
syrischen Opferschau-Protokollen haben ergeben, daß die neu-
assyrischen Opferschauer bis auf ganz wenige Ausnahmen tat-
sächlich die ungünstigen Tage vermieden haben. 25

16 I. Starr, Rituals 64.

17 Einen altbabylonischen Text mit ausführlichen Anweisungen zum
Vorgehen bei der Schächtung hat D. A. Foxvog, in: H. Behrens et al.
(Hrsg.), Fs. A. W. Sjöberg, 167-176 publiziert.

18 Das Relief befindet sich im Britischen Museum, London und trägt die
Nummer BM 124548. Siehe hierzu J.-W. Meyer, in: B. Janowski et al.
(Hrsg.), OBO 129, 531-546, der anhand ikonographischer Details dar-
legt, daß es sich hierbei um eine Schächtung für die Opferschau und
nicht um profanes Schächten handelt. U. Seidl, RIA 10, 644a deutet,
ohne die Ausführungen J.-W. Meyers zu zitieren, die Darstellung ent-
weder als „Vorbereitungen für ein Opfer“ oder als „Entnahme von
Eingeweiden zur Zukunftsbefragung“.

J.-W. Meyer, in: B. Janowski et al. (Hrsg.), OBO 129,543f„ Abb. 1-2.
Zur „ezib-Formel“ siehe unten und I. Starr, SAA IV, S. XX-XXVII.

W. G. Lambert, Oracle Questions, Nr. 4, Z. 32.

U. Jeyes, JEOL 32 (1991-92) 31 hat darauf hingewiesen, daß die
Datierungen altbabylonischer und kassitischer Opferschau-Protokolle
keine Hinweise bieten, daß ungünstige Tage wie der 1., 19., 21., 28.
oder 30. Tag eines Monats vermieden wurden. Im altbabylonischen
Mari gibt es jedoch Belege dafür, daß es dort das Konzept des richtigen
Zeitpunkts für die Durchführungen von Opferschauen gab, siehe hierzu
J.-M. Durand, ARM 26/1, 35f.

Insbesondere in der königlichen Hemerologie inbu bel arhi sowie der
sog. „every-man bread-offering hemerology“, siehe A. Livingstone, in:
E. Matsushima (Hrsg.), Official Cult, 109.

VAT 10100 (Nr. 70) Rs. 52-64, siehe dazu auch U. Jeyes, JEOL 32
(1991-92) 31.

Siehe die Auswertung von U. Jeyes, JEOL 32 (1991-92) 30-32, beson-
ders Anm. 41 sowie - offensichtlich gleichzeitig und unabhängig davon
- von A. Livingstone, in: E. Matsushima (Hrsg.), Official Cult, 109f.
mit Tabelle A sowie ders., in: S. Parpola und R. M. Whiting (Hrsg.),
Assyria 1995, 174 mit Abb. 4. Auch B. Pongratz-Leisten, SAAS X
172-175 widmete sich der Frage mit dem gleichen Ergebnis.

reichen neuassyrischen Opferschau-Rituals, das nur in der mittlerweile 19
veralteten Edition von H. Zimmern, BBR 1-25 und 71-101 vorliegt, 20

stellt ein Desiderat in der Assyriologie dar. Zu der Entwicklung des 21

Rituals von der altbabylonischen (ca. 1800-1500 v. Chr.) bis zur neu- 22
assyrischen Zeit (7. Jh. v. Chr.) siehe U. Jeyes, JEOL 32 (1991-92) 28f.

11 Zum Ablauf des Rituals siehe P. Steinkeller, in: A. Gianto (Hrsg.), Gs.

W. L. Moran, 11-47 und J. Fincke, BiOr 66 (2009) 520-577 sowie in
kürzeren Darstellungen U. Jeyes, Assyriological Miscellanies 1 (1980)

15-17 und St. M. Maul, RIA 10, 76f.

12 Siehe hierzu P. Steinkeller, in: A. Gianto (Hrsg.), Gs. W. L. Moran, 18-

38. Steinkeller thematisiert auch ausführlich die Frage, warum gerade 23
die Götter Samas und Adad mit der Opferschau assoziiert sind. Für
Samas betont er zusätzlich zu der weit verbreiteten - etwa von Erica
Reiner, Astral Magic 65 vertretenen - Deutung, daß der Sonnengott als 24
Gott der Gerechtigkeit, der „alles sieht“, die Opferschau entscheidet,
auch die Rolle Samas’ als Gott, der bei Nacht die Unterwelt durchquert 25
und dabei nicht nur die Träume, sondern auch die Zukunft (er)schafft.

13 U.Jeyes,JEOL 32 (1991-92) 28f.

14 St. M. Maul, RIA 10, 76 und P. Steinkeller, in: A. Gianto (Hrsg.),
Gs.W.L.Moran, 25-34.

15 Siehe die von St. M. Maul, RIA 10, 76f. zusammengestellten Belege.
 
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