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Einleitung
von Christoph Strohm und Thomas Wilhelmi
An der Jahreswende 1538/39 hielt sich Martin Bucer als Kaufmann verkleidet
zu geheimen Religionsgesprächen in Leipzig, der Hauptstadt des altgläubig
gebliebenen, albertinischen Herzogtums Sachsen, auf1. Mit dieser Episode
begann eine bis zum Schmalkaldischen Krieg 1546 dauernde Phase in Bucers
Leben, die durch die führende Mitarbeit in den Vermittlungsverhandlungen
zwischen Altgläubigen und Protestanten geprägt war. Mitten in diese Aktivi-
täten fiel die Reise des Straßburger Reformators an den Hof des Kölner Erz-
bischofs Hermann von Wied Anfang Dezember 1542. Dieser hatte ihn geru-
fen, um seine Reformbemühungen im Kölner Kurfürstentum voranzutrei-
ben. Bereits im Jahre 1536 hatte Hermann den Versuch einer Abstellung der
kirchlichen Mißstände unternommen, indem er eine Provinzialsynode einbe-
rief, die vom 6. bis 10. März in Köln tagte2. Die Reformkonstitutionen dieser
Kölner Provinzialsynode wurden jedoch erst im Jahre 1538 veröffentlicht
und konnten auch nicht die erhoffte Wirkung entfalten3. Es bedurfte neuer
Anstöße, um die kirchlichen Mißstände abzuschaffen und die als sinnvoll an-
gesehenen Neuansätze der Reformatoren aufzunehmen4.
Reformkatholisch oder protestantisch gesinnte Kreise sahen in den Ver-
mittlungsverhandlungen, die Kaiser Karl V. und sein Reichskanzler Granvella
zwischen Protestanten und Altgläubigen Anfang der vierziger Jahre initiier-
ten, die Chance, doch noch eine gemeinsame moderate Reformation in
Deutschland zu Wege zu bringen. Zwar scheiterten die Vermittlungsbemü-
hungen5, aber als ein Ergebnis blieb immerhin die Aufforderung des Regens-
burger Reichsabschieds vom 29. Juli 1541 an die Stände, bis zur endgültigen
Klärung durch ein Konzil für eine angemessene Reformation der kirchlichen
Mißstände in den eigenen Territorien zu sorgen6. Hermann von Wied war den
Protestanten schon bei der Versammlung in Hagenau vom 12. Juni bis 28. Juli
1540, die das geplante Religionsgespräch vorbereiten sollte, als einer der we-
nigen geistlichen Fürsten aufgefallen, die ernsthaft bereit zu sein schienen,
eine Reformation der kirchlichen Mißstände in Angriff zu nehmen. Umge-
kehrt nahm der Erzbischof während dieser Zusammenkunft Bucer als einen
1. Vgl. Greschat, Bucer, S. 177-179.
2. Die diesbezüglichen Dokumente sind abgedruckt in: ARC II, S. 118-318. Vgl. auch
Varrentrapp, Hermann, S.72-82.
3. Abgedruckt in: ARC II, S. 192-305; vgl. auch Deckers, Hermann, S.60-63 und 187-
221; Drouven, Reformation, S. 87-96; Franzen, Bischof, S.49-56.
4. Aus einem Brief Melanchthons an Hermann von Wied vom 17. März 1539 geht hervor,
daß der Erzbischof Melanchthon schon damals nach Köln eingeladen hat, dieser die An-
nahme der Einladung jedoch von der Entscheidung des sächsischen Kurfürsten Johann
Friedrich abhängig macht (vgl. MBW, Nr. 2163).
5. Zu B.s Anteil an den Religionsverhandlungen der Jahre 1539 bis 1541 vgl. BDS 9,1.
6. Vgl. unten S. 70 Anm. 300 und S. 88.
 
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