ummauerten Vorhof an den Wänden angebracht. Alle mittelalterlichen Reste außer dem wohl später
aufgefundenen Fragment Nr. 47 dürften einer Zerstörung der Kapelle zu Beginn des 15.Jahrhunderts
oder einer „Purgierung“ bei der Überlassung an die Protestanten der Stadt während des Reformations-
jahrhunderts zum Opfer gefallen sein8).
Außer der Zerstörung, dem Abbruch und der Wiederherstellung von Kirchen hat der natürliche
Zu- und Abgang von Grabdenkmälern durch die dauernde Neubelegung des zur Verfügung stehenden
Raumes den Bestand an epigraphischen Quellen laufend verändert. Über die dabei zu beobachtenden
Auswahlprinzipien könnte man zwar allgemeine Reflexionen anstellen, die jedoch - bei fehlenden Nach-
richten - keine für Fritzlar charakteristischen Gesichtspunkte ergäben.
Nur zwei, nicht auf Fritzlar beschränkte, aber hier in besonderem Maße praktizierte Eigenheiten sollen
hervorgehoben werden, weil sie den Verlust von Grabschriften zumindest beschleunigt haben.
1. Die übliche Art der Nachbestattungen scheint es kaum gegeben zu haben. Nur auf einem Stein im
Kreuzgang aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ist eine spätere Jahreszahl eingehauen, die das
Datum einer Nachbestattung sein könnte. Vielmehr hat man für jede Beisetzung eine Grabplatte neu her-
gerichtet. Bei der ersten Wiederbenutzung konnte man sie wenden, das einzige Beispiel hierfür ist Nr. 156,
während man sie schon beim zweiten Male auf einer Seite glätten mußte, hierfür gibt es als einziges
Beispiel Nr. 124. Urkundlich ist jedoch überliefert, daß die Kirchenfabrik für billiges Geld gebrauchte
Steine zum Begräbnis im Kreuzgang abgab9). Demnach wäre es durchaus möglich, daß weitere Grab-
platten im Kreuzgang auf beiden Seiten beschriftet sind.
2. Wie man aus spärlichen Andeutungen entnehmen kann, war die Anbringung von Wandepitaphien
verbreitet, vor allem solcher, die erhöht an Wänden oder Pfeilern aufgehängt wurden. Unabhängig vom
Material sind sie der Vernichtung stärker ausgesetzt, da sie nach der Abnahme bei jeder Neutünchung
gewiß nie wieder vollständig auf ihren alten Platz zurückgebracht wurden. Man konnte sie verfeuern,
vermauern oder als Altmaterial verkaufen, je nachdem ob sie aus Holz, Stein oder Metall angefertigt
waren. Außerdem bereitete ihre Entfernung keine technischen Schwierigkeiten. Grabplatten sind zwar
der Abnutzung stärker ausgesetzt, aber man kann sie nicht einfach abhängen.
Kunstgeschichtliche Bemerkungen zu den Fritzlarer Denkmälern
Man wird von der Voraussetzung ausgehen dürfen, daß es seit dem späteren Mittelalter in Fritzlar
immer nur eine Steinmetzwerkstatt gegeben hat, die - zumindest quantitativ - im Stande war, alle Auf-
träge auszuführen, die ihr von den verschiedenen Honoratiorengruppen der Stadt und der näheren Um-
gebung zugeleitet wurden. In erster Linie waren Bauplastik und Grabdenkmäler herzustellen. Von
kurzen Perioden des Krieges und von Katastrophen mit weiterreichenden Folgen abgesehen, muß das
Bedürfnis nach den genannten Erzeugnissen der örtlichen Steinmetze innerhalb der gleichen sozialen
Gruppe ziemlich gleichblcibend gewesen sein. Jedoch wurden fortschreitend bis zum Dreißigjährigen
Kriege hin immer weitere Stände von dem Wunsch z.B. nach Grabdenkmälern ergriffen. Waren es zuerst
nur die Prälaten und Kanoniker des Petersstiftes, die höchsten Spitzen der kurfürstlichen Beamtenschaft
und das Patriziat, die als Auftraggeber in Frage kamen, so trat im Verlauf des 15. Jahrhunderts die niedere
Geistlichkeit, Altaristen und Pfarrer, hinzu, der Adel der Umgebung folgte und während des 16. Jahrhun-
derts ist ein starkes Ansteigen der Zahl der „bürgerlichen“ Epitaphien zu verzeichnen, die Angehörigen
Fritzlarer Ratsfamilien gesetzt wurden, die erst kürzlich aus dem zünftischen Handwerk aufgestiegen
waren.
Es ist demnach zu erwarten, daß alle „landläufigen“ Steinmetzerzeugnisse der gleichen Zeit auch der
gleichen Werkstatt zugehören. Tatsächlich trifft das weitgehend zu. Anspruchsvolle Aufträge, z.B. das
Sakramentshäuschen, wurden natürlich bekannten Spezialwerkstätten zugclcitet, in diesem Falle der
der Familie Bunekemann in Münster. Auch der Kasseler Betrieb des Andreas Herber1), der zwischen
den Jahren 1570 und 1600 eine fast monopolartige Stellung für jede Art von Grabdenkmälern im nörd-
lichen Hessen innegehabt hat, ist mit zwei signierten Arbeiten (Nr. 130 und 153) in Fritzlar vertreten.
Drei weitere sind ihr durch Stilvergleich schon zugewiesen (128, 129 und 131), Nr. 132 schließt sich
zwanglos an und bei einer Reihe von anderen kann man höchstens im Zweifel darüber sein, ob es sich um
schlechte Werkstattarbeiten oder örtliche Nachahmungen handelt. Alle diese Stücke sind nicht vom katho-
lischen Stift oder einem seiner Mitglieder in Auftrag gegeben.
8) B. u. K., S. 123 f.
“) Falckenheiner II, S. 50, u. Anm. 2.
Kramm, Walter: Andreas Herber und seine Kasseler Bildliauerwerkstatt. Diss. phil. Marburg 1932.
XIX
aufgefundenen Fragment Nr. 47 dürften einer Zerstörung der Kapelle zu Beginn des 15.Jahrhunderts
oder einer „Purgierung“ bei der Überlassung an die Protestanten der Stadt während des Reformations-
jahrhunderts zum Opfer gefallen sein8).
Außer der Zerstörung, dem Abbruch und der Wiederherstellung von Kirchen hat der natürliche
Zu- und Abgang von Grabdenkmälern durch die dauernde Neubelegung des zur Verfügung stehenden
Raumes den Bestand an epigraphischen Quellen laufend verändert. Über die dabei zu beobachtenden
Auswahlprinzipien könnte man zwar allgemeine Reflexionen anstellen, die jedoch - bei fehlenden Nach-
richten - keine für Fritzlar charakteristischen Gesichtspunkte ergäben.
Nur zwei, nicht auf Fritzlar beschränkte, aber hier in besonderem Maße praktizierte Eigenheiten sollen
hervorgehoben werden, weil sie den Verlust von Grabschriften zumindest beschleunigt haben.
1. Die übliche Art der Nachbestattungen scheint es kaum gegeben zu haben. Nur auf einem Stein im
Kreuzgang aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ist eine spätere Jahreszahl eingehauen, die das
Datum einer Nachbestattung sein könnte. Vielmehr hat man für jede Beisetzung eine Grabplatte neu her-
gerichtet. Bei der ersten Wiederbenutzung konnte man sie wenden, das einzige Beispiel hierfür ist Nr. 156,
während man sie schon beim zweiten Male auf einer Seite glätten mußte, hierfür gibt es als einziges
Beispiel Nr. 124. Urkundlich ist jedoch überliefert, daß die Kirchenfabrik für billiges Geld gebrauchte
Steine zum Begräbnis im Kreuzgang abgab9). Demnach wäre es durchaus möglich, daß weitere Grab-
platten im Kreuzgang auf beiden Seiten beschriftet sind.
2. Wie man aus spärlichen Andeutungen entnehmen kann, war die Anbringung von Wandepitaphien
verbreitet, vor allem solcher, die erhöht an Wänden oder Pfeilern aufgehängt wurden. Unabhängig vom
Material sind sie der Vernichtung stärker ausgesetzt, da sie nach der Abnahme bei jeder Neutünchung
gewiß nie wieder vollständig auf ihren alten Platz zurückgebracht wurden. Man konnte sie verfeuern,
vermauern oder als Altmaterial verkaufen, je nachdem ob sie aus Holz, Stein oder Metall angefertigt
waren. Außerdem bereitete ihre Entfernung keine technischen Schwierigkeiten. Grabplatten sind zwar
der Abnutzung stärker ausgesetzt, aber man kann sie nicht einfach abhängen.
Kunstgeschichtliche Bemerkungen zu den Fritzlarer Denkmälern
Man wird von der Voraussetzung ausgehen dürfen, daß es seit dem späteren Mittelalter in Fritzlar
immer nur eine Steinmetzwerkstatt gegeben hat, die - zumindest quantitativ - im Stande war, alle Auf-
träge auszuführen, die ihr von den verschiedenen Honoratiorengruppen der Stadt und der näheren Um-
gebung zugeleitet wurden. In erster Linie waren Bauplastik und Grabdenkmäler herzustellen. Von
kurzen Perioden des Krieges und von Katastrophen mit weiterreichenden Folgen abgesehen, muß das
Bedürfnis nach den genannten Erzeugnissen der örtlichen Steinmetze innerhalb der gleichen sozialen
Gruppe ziemlich gleichblcibend gewesen sein. Jedoch wurden fortschreitend bis zum Dreißigjährigen
Kriege hin immer weitere Stände von dem Wunsch z.B. nach Grabdenkmälern ergriffen. Waren es zuerst
nur die Prälaten und Kanoniker des Petersstiftes, die höchsten Spitzen der kurfürstlichen Beamtenschaft
und das Patriziat, die als Auftraggeber in Frage kamen, so trat im Verlauf des 15. Jahrhunderts die niedere
Geistlichkeit, Altaristen und Pfarrer, hinzu, der Adel der Umgebung folgte und während des 16. Jahrhun-
derts ist ein starkes Ansteigen der Zahl der „bürgerlichen“ Epitaphien zu verzeichnen, die Angehörigen
Fritzlarer Ratsfamilien gesetzt wurden, die erst kürzlich aus dem zünftischen Handwerk aufgestiegen
waren.
Es ist demnach zu erwarten, daß alle „landläufigen“ Steinmetzerzeugnisse der gleichen Zeit auch der
gleichen Werkstatt zugehören. Tatsächlich trifft das weitgehend zu. Anspruchsvolle Aufträge, z.B. das
Sakramentshäuschen, wurden natürlich bekannten Spezialwerkstätten zugclcitet, in diesem Falle der
der Familie Bunekemann in Münster. Auch der Kasseler Betrieb des Andreas Herber1), der zwischen
den Jahren 1570 und 1600 eine fast monopolartige Stellung für jede Art von Grabdenkmälern im nörd-
lichen Hessen innegehabt hat, ist mit zwei signierten Arbeiten (Nr. 130 und 153) in Fritzlar vertreten.
Drei weitere sind ihr durch Stilvergleich schon zugewiesen (128, 129 und 131), Nr. 132 schließt sich
zwanglos an und bei einer Reihe von anderen kann man höchstens im Zweifel darüber sein, ob es sich um
schlechte Werkstattarbeiten oder örtliche Nachahmungen handelt. Alle diese Stücke sind nicht vom katho-
lischen Stift oder einem seiner Mitglieder in Auftrag gegeben.
8) B. u. K., S. 123 f.
“) Falckenheiner II, S. 50, u. Anm. 2.
Kramm, Walter: Andreas Herber und seine Kasseler Bildliauerwerkstatt. Diss. phil. Marburg 1932.
XIX