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Seeliger-Zeiss, Anneliese; Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste [Mitarb.]; Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin [Mitarb.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Bayerische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig [Mitarb.]; Österreichische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Akademie der Wissenschaften in Göttingen [Mitarb.]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Mitarb.]
Die deutschen Inschriften: DI (Band 47 = Heidelberger Reihe, 13. Band): Die Inschriften des Landkreises Böblingen — Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert Verlag, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.57659#0022
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die monumentale gewölbte Vorhalle angefügt, die im 16.Jahrhundert zu einem bevorzugten Be-
gräbnisort werden sollte. Um 1533 ist em Treppenturm (nr. 45) angebaut worden; er diente vielleicht
zur Erschließung einer Herrschaftsempore, denn die Kirche war dem herzoglichen Schloß unmittel-
bar benachbart. Deshalb ließ Herzogin Sibylla (1564-1614) die Kirche 1610 durch einen überdach-
ten Kirchgang (nr. 331) mit dem Schloß, das ihr als Witwensitz diente, verbinden.
Bezüglich der Ausstattung ist überliefert, daß bis zur Reformation neben der Pfarrei sechs Kaplanei-
pfründen bestanden, von denen vier noch ins 14. Jahrhundert zurückgingen34. Imjahr 1359 vermachte
der Pfaffe Dietrich Hief, Frühmesser in Markgröningen, seiner Vaterstadt Leonberg sein ganzes Ver-
mögen zur Errichtung einer Pfründe am Altar der hl. Katharina und des hl. Lorenz35. Besondere Be-
stimmungen betrafen den zu errichtenden Altar und ein Seelgerät für die Eltern und den Bruder sowie
für den Stifter selbst. Danach sollte der Pfarrer „alle Werktag morgens und abentz über em grab gan daz
min oder miner mutter ist“. Weder Standort noch Inschrift der Grabplatte sind bezeugt, aber sicher ist,
daß Hief als Kleriker analog zu anderen Leonberger Priestern im Innern der Kirche bestattet wurde.
Von weiteren mittelalterlichen Grabmälern sind nur zwei bei der Renovierung von 1962 aufgefunden
worden (nrr. 27, 162); 1881 wurden außerdem zwei heute verlorene Grabplatten mit weitgehend
zerstörten Inschriften als „im Boden liegend“ bezeugt (nrr. 68, 124). Dieser schmale Bestand an mit-
telalterlichen Denkmälern konnte durch die Identifizierung zweier Fragmente im Lapidarium um em
sehr prominentes Werk der Spätgotik ergänzt werden, das in Zweitverwendung als Baumaterial ge-
dient hatte: das Epitaph für den Obervogt Wilhelm von Münchingen und seine Gemahlin (nr. 101).
Angesichts des reichen Bestandes von 21 erhaltenen Denkmälern der Spätrenaissance ist nach den
Ursachen der Zerstörung der mittelalterlichen Ausstattung der wohlerhaltenen, von Bränden ver-
schonten hochgotischen Kirche zu fragen36. Der Verlust der Altäre und Vasa sacra ist vermutlich der
Reformation anzulasten. Im Falle des Hochaltars handelte es sich um den 1522 an Melchior Schri-
ner von „Under Colmar“ und dessen Schwiegersohn Wolfgang Höller, Bürger zu Calw, verdingten
Hochaltar, der nach dem Vorbild des 1517/1521 gefertigten Hochaltars der Stadtkirche in Weil der
Stadt anzufertigen war37. Nur fünfzehn Jahre später verfügte Herzog Ulrich von Württemberg 1537
die „geordnete Ausräumung der Kirchen“38; ab diesem Datum ist mit der Entfernung der altkirch-
lichen Bilder in den Kirchen der Amtsstädte zu rechnen. Gleichzeitig erfolgte auch hier die Abliefe-
rung der mittelalterlichen Vasa sacra.
Vermutlich ist auch der mittelalterliche Bestand an Grabplatten — soweit diese nicht als Fuß-
bodenbelag bis um 1881 beibehalten wurden — schon im 16.Jahrhundert im Gefolge der Reforma-
tion zerstört worden. Es ist auffällig, daß auch aus der Barockzeit keine Grabdenkmäler mehr erhal-
ten sind39; wie die Kanzel von 1682 und Emporenbilder bezeugen, erhielt die Kirche um 1680 eine
neue Innenausstattung mit Altar und Kanzel40. Weiter ist auffallend, daß sich kein einziges Stück der
auf Holz gemalten Epitaphien des 16., 17. oder 18. Jahrhunderts erhalten hat, die doch in anderen
württembergischen Amtsstädten als Denkmäler der Bürgerschaft beliebt waren, wie die Reste des in
Herrenberg noch erhaltenen Bestandes zeigen. Die Grabplatten und Epitaphien sind auch hier mit
größter Wahrscheinlichkeit im Zuge der für das späte 19. Jahrhundert typischen Kirchenrestaurie-
rungen beseitigt worden. Eine solche den Kirchenraum „purifizierende“ Restaurierung erfolgte
durch den Architekten Heinrich Dolmetsch (1846-1908) in den Jahren 1897/98 und 1906/08.
Dafür blieb offenbar der Bestand an steinernen Epitaphien der Spätrenaissance weitgehend erhalten,
wofür man eine Reihe von Gründen vermuten kann. Einmal waren diese Denkmäler in Leonberg

34 OABLeonberg 1930, 653-657
Vgl. OABLeonberg 1930, 654. — Der Stifter ist wohl identisch mit Dietrich Hief, Kaplan in Leonberg, der 1388
abermals an die Frühmesse auf St. Peters Altar eine Stiftung vergab; ebd.
36 Die verheerenden Stadtbrände von 1498 und 1895 vernichteten Haussubstanz, verschonten aber die Kirche.
7 Vgl- Rott, Quellen und Forschungen II: Alt-Schwaben und die Reichsstädte, 1934, 212.
38 Vgl. oben XIV und Anm. 15.
Im Kircheninnern ist em einziges Stück erhalten. Bei der letzten Renovation 1963 sind zwei Epitaphien des 18. Jahr-
hunderts an der Südseite der Kirche vernichtet worden, ohne daß man zuvor eine — in einem solchen Fall unerläß-
liche — Bilddokumentation veranlaßt hat. Es handelte sich um das Epitaph für den Diakonus Johann Max Lavenstein,
gest. 10. Nov. 1753, und um das Epitaph für Maria Christina Köstlin, Ehefrau des Gottlob Paulus und Mutter des
bekannten Heidelberger Theologen Heinrich E. G. Paulus, gest. 5. Dez. 1767, sowie deren Schwester Maria
Magdalena Elisabeth, gest. 7. Jan. 1768. Ein zufällig erhaltenes Amateur-Photo überliefert das Aussehen des letzteren
4n Denkmals; Photo im Epigraphik-Archiv der Heidelberger Inschriften-Kommission.
Überliefert ist eine „Illuminierung“ der Kirche 1677 durch den Gipser Friedrich Häb von Stuttgart, die neue
Emporeneinbauten nach sich zog.

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