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Seeliger-Zeiss, Anneliese; Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste [Mitarb.]; Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin [Mitarb.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Bayerische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig [Mitarb.]; Österreichische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Akademie der Wissenschaften in Göttingen [Mitarb.]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Mitarb.]
Die deutschen Inschriften: DI (Band 47 = Heidelberger Reihe, 13. Band): Die Inschriften des Landkreises Böblingen — Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert Verlag, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.57659#0026
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seinen Text mehrfach kopial überliefert hat. Dagegen sind die Grabmäler der Familie von Gültlingen
nicht mehr faßbar, deren Grabkapelle 1472 im Untergeschoß der zweigeschossigen Sakristei an der
Nordseite des Chores (heute Heizraum) eingerichtet wurde* * 64.
Die Frage nach den Ursachen der Zerstörung der Grabmäler läßt sich für Herrenberg ausnahms-
weise beantworten. Nach Hess wurden im Gefolge der Reformation „auch der Kirchhoff allhie ab-
geräumt und viele Grabstein an die Weg und an die Kirch gelegt“65. Die Abrechnungen von 1537/38
für die Beseitigung der Grabplatten und Epitaphien sind teilweise erhalten. Danach wurde mit einem
der Arbeiter abgerechnet über den Transport von nicht weniger als 49 Grabplatten, die zur Pflaste-
rung der Wege auf dem Kirchhof verwendet wurden66. Die Gesamtkosten lassen auf ein Mehrfaches
dieser Anzahl schließen. Als Grund der Vernichtung kann nur vermutet werden, daß in einer allge-
meinen politischen Umbruchsituation alle Zeugen aus katholischer Zeit entfernt werden sollten,
auch wenn dies nur schlichte Grabplatten und keine Bildzeugnisse waren67.
Trotzdem nahm man nach Erlaß der evangelischen Kirchenordnung 1559 auch in Herrenberg die
mittelalterliche Praxis des Kirchenbegräbnisses und der Stiftung von Epitaphien in die Kirche wieder
auf. Auch hier sind wie in Leonberg die Gebühren überliefert, aber noch nicht im einzelnen publi-
ziert. Danach beliefen sich die Kosten auf 10 Gulden für eine Bestattung in der Kirche, auf 5 Gulden
für einen bevorzugten Platz auf dem Kirchhof. Eine stattliche Anzahl von Sandstein-Epitaphien der
Ehrbarkeit sind in der Turmvorhalle und im Langhaus der Kirche erhalten geblieben; sie setzen aber
erst 1603 mit dem Epitaph des Johann Grminger (nr. 299) em. Aber die zugehörigen Grabplatten feh-
len gänzlich, so daß eine Bestattung in der Kirche für diese Personen fraglich ist. Gesichert ist allein
das Vorhandensein einer schon im 18. Jahrhundert schlecht erhaltenen Familien-Grabstätte mit Grab-
platten und einem Holz-Epitaph für die Familie des Obervogtes Hans Burkhart von Anweil (belegt
ab 1578; nrr. 229, 241). Von den Sandstein-Epitaphien auf dem um 1800 aufgelassenen Kirchhof hat
sich ein einziges aus der Zeit vor 1650 erhalten (nr. 366)68; ein weiteres ist nach 1927 verschollen
(nr. 367a). Die übrigen zwölf Grabmäler des Kirchhofs gehören dem späten 17. und dem 18. Jahr-
hundert an; sie sind hervorragend dokumentiert69 und wurden zwischen 1995 und 1998 vorbildlich
restauriert70.

3.3 Böblingen
Die dritte Oberamtsstadt innerhalb des heutigen Landkreises, das seit 1962 zur Großen Kreisstadt und
zum modernen Verwaltungsmittelpunkt erhobene Böblingen, ist ebenfalls eine Gründung der Pfalz-
grafen von Tübingen. Wie bei anderen Kleinstädten im Gebiet der ehemaligen württembergischen
Herrschaft, denen im Lauf des 13. Jahrhunderts das Stadtrecht verliehen wurde, ist das Jahr der Grün-
dung nicht bekannt. Jedenfalls sind 1240 erstmals die Pfalzgrafen von Tübingen als Besitzer der wohl
im 11./12. Jahrhundert erbauten Burg Bebelingen belegt71. Im Jahr 1272 werden Böbhnger Bürger
als „cives“ bezeichnet; daher kann die Gründung zwischen etwa 1250 und diesem Jahr angenommen
werden. Pfalzgraf Gottfried von Tübingen sah sich schuldenhalber gezwungen, Burg und Stadt 1344
bzw. 1357 an Württemberg zu verkaufen. Von da an verlief die weitere Formung des Stadtwesens
nach dem Muster einer typischen württembergischen Amtsstadt, jedoch ist zu vermuten, daß der
Glanz einer kleinen Hofhaltung für die wirtschaftliche und künstlerische Entwicklung der Stadt nicht
ohne Wirkung war. Das Schloß diente nämlich als Witwensitz des württembergischen Hauses72. Im
Jahr 1394 wurde Böblingen mit Sindelfingen und Aidlingen und mit Anteilen an weiteren Orten des

114 Als Nachfolger der Gültlingen hatten die Freiherren von Bernardin ab 1640 hier ihr Begräbnis; 1855 waren hier noch
drei Grabmäler aus den Jahren 1646, 1680 und 1718 vorhanden; Hess, Chronik Herrenberg, WLB Cod. hist. F 278,
Bd. 3(c), p. 7; Heideloff, Kunst des Mittelalters in Schwaben 1855, 7; OABHerrenberg 1855, 110.
65 Hess, Chronik, WLB, Bd.2 (b) p. 1440 f.
66 Janssen (wie Anm. 60) 84.
Die Aktion war ein Akt vorauseilenden Gehorsams, denn sie erfolgte noch vor dem Uracher Götzentag; zu diesen
Vorgängen speziell in Herrenberg vgl. Janssen (wie Anm. 60) 84 — 87.
Der damals neu angelegte Begräbnisplatz liegt im Süden der Stadt und besitzt keine historischen Inschriften-Denk-
mäler vor 1650.
69 Dokumentation von Otto Schmid, 1927, im Stadtarchiv Herrenberg.
Die Initiative ging aus vom Verein zur Erhaltung der Stiftskirche Herrenberg; dem 1. Vorsitzenden, Herrn Dr. Mar-
tin Zeller, sei für Hinweise gedankt.
Zum Folgenden OABBöblmgen 1850, 83, 116-119; AmtlKreisbeschreibung III, 1978, 85-87.
Vgl. den Katalog zur Ausstellung Fürstliche Witwen auf Schloß Böblingen. Ausstellung Stadt Böblingen, Stadtarchiv
und Museen 1987. Böblingen 1987.

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