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Seeliger-Zeiss, Anneliese; Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste [Contr.]; Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften [Contr.]; Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin [Contr.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]; Bayerische Akademie der Wissenschaften [Contr.]; Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig [Contr.]; Österreichische Akademie der Wissenschaften [Contr.]; Akademie der Wissenschaften in Göttingen [Contr.]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Contr.]
Die deutschen Inschriften: DI (Band 47 = Heidelberger Reihe, 13. Band): Die Inschriften des Landkreises Böblingen — Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert Verlag, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.57659#0040
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Ungewöhnlich in Material und Technik ist auch das Epitaph für die Familie des Pfarrers Johann
Thomas Schwarz, gestorben 1591 in Altdorf (nr. 259). Es handelt sich um eine kleinformatige Platte
aus Solnhofer Stein mit einer ikonographisch einzigartigen Steinätzung zum Thema des „Lignum vi-
tae“. Das Kreuz Christi ist als Weinstock gebildet und trägt als „Früchte des Glaubens“ die Christus-
Tugenden, die an den auf kleinen Täfelchen dargestellten Stationen seines hebens sichtbar werden.
Die Virtuosität in der Gestaltung von Schrift und Zeichnung verrät einen unbekannten Modisten
von höchster Kunstfertigkeit130. Die Kunst der Modisten und Schriftkünstler, der Spezialisten für die
Kalligraphie, war im späten 16. Jahrhundert auch am württembergischen Hof geschätzt und hoch be-
zahlt, wie zahlreiche Stücke aus der herzoglichen Kunstkammer zeigen1’1.
Einen künstlerischen Höhepunkt in der Grabmalproduktion des Bearbeitungsgebietes stellen die
Grabdenkmäler und Epitaphien der Bildhauerwerkstatt des Jeremias Schwartz und seiner Söhne dar.
Diese Werkstatt war von 1574 bis über 1650 hinaus in Leonberg tätig und belieferte die gesamte
Region am mittleren Neckar mit hochwertigen Grabdenkmälern aus Sandstein132 *. Eine kurze
Unterbrechung erfuhr das Wirken des Jeremias Schwartz (geb. um 1545/50, gest. 1621) durch seine
Ernennung zum Hofbildhauer des Kurfürsten Ludwig VI. von der Pfalz und seinen Wegzug nach
Heidelberg zwischen 1583 und 1590. Seine Auftraggeber für prunkvolle Grabdenkmäler der Spät-
renaissance waren in erster Linie die Adelsfamilien der Umgebung Leonbergs, wie die Münchin-
gen in Münchingen, die Plieningen in Kleinbottwar, die Nippenburg in Hemmingen, Schwieber-
dingen und Unterriexingen und die Gemmingen in Tiefenbronn11’. Aber auch die Leonberger
Oberschicht — die Ehrbarkeit und der evangelische Pfarrerstand — strebte nach neuen Denkmalsfor-
men der Selbstdarstellung und Glaubensgewißheit. Für die Honoratioren der Amtsstadt Leonberg hat
Schwartz das Amtsträger-Grabmal als einen neuen Typus der Spätrenaissance geschaffen. Die nicht
adligen Amtsträger und ihre Frauen treten uns hier in Lebensgröße in „spanischer Tracht“ entgegen;
diese ehrbaren Bürger tragen den Degen wie ein Edelmann, halten aber den Hut anstelle des Helms,
Brief und Schreibzeug als bürgerliche Attribute anstelle der Waffe134 135. Die Frauen sind zuchtvoll
verhüllt, sie tragen eine Haube und einen faltigen Umhang über dem Kleid. Eltern und Kinder
erscheinen im bürgerlichen Kostüm ihrer Zeit auf dem Grabmal, das so auch zur Bildquelle für
kostümgeschichtliche Forschungen wird. Auch den Typus des steinernen Epitaphs mit knienden Be-
tern vor dem Kruzifix — eine in lutherisch wie katholisch geprägten Herrschaftsgebieten gleicher-
maßen beliebte Form — hat Schwartz im Bearbeitungsgebiet eingeführt und weiterentwickelt130.
Nicht zuletzt diente das evangelische Grabdenkmal als Instrument theologischer Verkündigung in
Wort und Bild, denn neben den Leichtexten und ausführlichen Grabschriften in hervorragender
Schriftgestaltung vermochte Schwartz virtuos gearbeitete kleinformatige Reliefs mit „biblischen Hi-
storien“ zu arbeiten, wie sie die Spätrenaissance liebte. Die Söhne — hier ist in erster Linie an Jacob
Eberhard Schwartz zu denken — führten nach 1621 mit dem Ohrmuschelstil Neuerungen auf dem
Gebiet der Ornamentik ein und kombinierten mit Vorliebe verschiedene Schriftarten zu einem
dekorativen Schriftbild. Diese Werkstatt, deren Umfang und Wirkungskreis in diesem Rahmen nicht
erforscht werden konnte, erhielt den Notnamen „Werkstatt Leonberg II“. Ihr ist die Erfindung eines
neuen, unverwechselbaren Grabplatten-Typs in Gestalt einer reich geschmückten Relieftafel zuzu-
schreiben. Ihr Feld ist nun dreigeteilt; in der oberen Zone steht eine Schriftkartusche mit dem Leich-
text, in der Mitte die in em Medaillon eingefugten Wappen, meist von Engeln gehalten, unten eine
üppige Schriftkartusche mit der Grabschrift und Todesemblemen. Im Bearbeitungsgebiet vertritt das

130 Die Verwendung der Steinätzung für Epitaphien ist in Württemberg selten. Em zweites Beispiel im Bearbeitungs-
gebiet war das Herrenberger Epitaph der Familie Pfefferle (1606; Kriegsverlust; nr. 312). Noch erhalten ist das Epi-
taph des Bürgermeisters Johann Rohr und seiner Gemahlin Anna Heberler, datiert und signiert von Caspar van der
Sitt, in Esslingen, St. Dionys. Es ist als Schreibmeister-Kunststück ohne Bilderschmuck gestaltet, wie die meisten die-
ser Tafeln; Photo im Heidelberger Epigraphik-Archiv. — Zur Gattung dieser Kunstkammerstücke vgl. Fleischhauer,
Renaissance 1971, 189f.; Hoth, D., Müller, Helga, Kunst im Detail. Die Kunst der Renaissance. Stuttgart 1984, 60f.,
131 Fleischhauer, W, Die Geschichte der Kunstkammer der Herzöge von Württemberg in Stuttgart (Veröff. d. Kom-
7 mission f. geschichtl. Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B, Forschungen 87). Stuttgart 1976, 1 — 5.
'h Zusammenfassend Seeliger-Zeiss, in: Ein seliges end 1998, 106 — 156 (mit weiterführenden Literaturangaben).
Zu den Arbeiten von Schwartz für die Orte im Landkreis Ludwigsburg vgl. DI 25 (Ludwigsburg), Einl. S. XXXIX
und im Register; zu seiner Tätigkeit in Heidelberg vgl. Seeliger-Zeiss, Heidelberger Werke des Bildhauers Jeremias
Schwartz 1992, 105 ff. Zu einzelnen Orten mit Arbeiten von Schwartz aus seiner Frühzeit vgl. DI 20 (Karlsruhe)
Einl. XXVII und im Register; ferner DI 22 (Enzkreis) Einl. S.S.XXVIIIf. und im Register; DI 37 (Rems-Murr-
Kreis) nrr. 267, 315; DI 41 (Göppingen) nr. 294.
134 Vgl. nrr. 228, 235, 236, 261, 264, 316, 333.
135 Vgl. nr. 233; kniende Familien nrr. 308, 320, 356, 410.

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