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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (1. Band = 1. Abtheilung, 1. Hälfte): Die Ordnungen Luthers, die Ernestinischen und Albertinischen Gebiete — Leipzig: O.R. Reisland, 1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.26586#0123
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Die bischöfliche Verfassung. Die Consistorien.

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erklärte, die Errichtung eines Consistoriums sei „hoch von nöten“. Damit die Sache nicht
hinausgeschoben würde, möge man einstweilen wenigstens eines einrichten, und zwar zu Leipzig.
Über die Zusammensetzung und die Competenzen des Consistoriums wurde damals aus-
führlich berathen. Das Consistorium solle an die Stelle der katholischen Bischöfe treten; das
Consistorium sei „das rechte bischöfliche Amt“. Damit ist der Charakter der geplanten Kirchen-
Verfassung gekennzeichnet. Von einem landesherrlichen Episkopat ist keine Rede (vgl. Seh-
ling, Kirchengesetzgebung unter Moritz von Sachsen, S. 10 ff.), sondern oberstes Kirchen-
Organ sind an Stelle der früheren Bischöfe die Consistorien. Unter dem Consistorium stehen
die Superintendenten. Die Gemeinden sollen presbyterial organisiert werden; Kirchenräthe
sollen eingerichtet werden, in erster Linie zur Handhabung der kirchlichen Zucht, aber auch
zur Betheiligung am sonstigen Verfassungsleben der Gemeinden. Vgl. speziell zu diesem Punkte
Sehling, Kirchengesetzgebung unter Moritz von Sachsen, S. 5 ff.
Ausserdem wurde eingehende Berathung gepflogen über die Gottesdienst-Ordnung, sowie
überhaupt über alle Theile einer Kirchen-Ordnung, denn Herzog Moritz wollte die Heinrich’s-
Agende einer gründlichen Revision unterziehen, oder richtiger formulirt, durch eine neue, auf
der Grundlage der alten beruhende, umfassende Kirchen-Ordnung das Kirchenwesen nach allen
Seiten hin ausgestalten und fortbilden. Die Ergebnisse ihrer Berathungen legten die Theologen
dem Herzoge in einem ausführlichen Gutachten vor. Dasselbe ist abgedruckt bei Sehling,
a. a. O. S. 121 ff., und ebenda S. 5 ff. besprochen.
Gerade die Errichtung der Consistorien, und zwar zunächst wenigstens die eines Con-
sistoriums zu Leipzig, legte die versammlung dem Herzog an’s Herz. Fasst man die früheren
fehl geschlagenen Versuche in’s Auge, so tritt der Passus in dem Abschnitt „Ordnung des Con-
sistorii“ (Sehling, a. a. O. S. 144) erst in das richtige Licht: „Und wirt von allen denen so
itzt alher derhalben beschriben und versamlet in einmütiger demut und aus treuer christlicher
wolmeinung gebeten, das ihr g. f. und herr und s. f. G. stadtliche rethe ihnen solch angegeben
und bevholen werk, wollen hinfüren lassen ernst sein.“
Die Dinge nahmen aber plötzlich eine ganz unerwartete und namentlich auch wohl für
die Mitglieder der Leipziger Conferenz unerwartete Wendung. Es traten Ereignisse ein, welche
Herzog Moritz den Gedanken nahe legten, die Organisation der Kirche auf anderer Grundlage
aufzubauen.
Bischof Sigismund von Merseburg war am 4. Januar 1544 gestorben. Herzog Moritz,
als der Schutzherr des Stiftes, ergriff die Gelegenheit, das Stift dauernd mit seinem Hause zu
verknüpfen, und auch die etwaigen Erbansprüche seines Bruders August zu befriedigen.
Durch einen Vertrag mit dem Domstifte wollte er seinem Bruder August das Stift zu-
wenden. Da dieser aber weltlichen Standes war, so musste ihm für die Verwaltung der kirch-
lichen Funktionen ein geistlicher Beistand gesetzt werden. War dieser der neuen Lehre zu-
gethan, so war zugleich die Reformation im Stifte gesichert, und dem evangelischen Bischof
konnte man dann die Verwaltung der episkopalen Befugnisse auch in anderen Landestheilen
übertragen. Hatte man in ähnlicher Weise später Meissen gewonnen, so war auf der Grundlage
der beiden evangelischen Episkopate die Kirche des Landes wohl organisiert.
Ob Moritz hierzu lediglich durch die Merseburger Frage oder auch durch andere poli-
tische Erwägungen bestimmt wurde, bleibe dahingestellt. Man darf auch nicht vergessen, dass
die Übertragung der bischöflichen Verfassung auf die neue Kirche, die ja doch in erster Linie
nur eine Reformation der Lehre bezweckte, den Zeitgenossen als die nächstliegende und ein-
fachste Lösung der Kirchenverfassungsfragen erscheinen musste.
Die Merseburger Frage wurde somit thatsächlich der Ausgangspunkt für die bischöfliche
Periode in der Geschichte der Albertinischen Kirche.
Moritz unterbreitete alsbald den Theologen zu Leipzig die wichtigsten hier in Betracht
 
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