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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Arend, Sabine [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (10. Band = Hessen, 3): Die Grafschaften Nassau, Hanau-Münzenberg und Ysenburg — Tübingen: Mohr Siebeck, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.30290#0465
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11. Almosenordnung [1600]

ordnung zum meisten ubertreten oder ja andere un-
gestraft lasen furubergehen, jedoch an denen orten,
da es ja nicht anders sein könte und ein schultheis
selbs wirth wehre und solchen leuten umb seines ge-
wins willen durch sich selbst oder die seinigen wein
geben und reichen ließe, soll derselbig vierfach so
viel, als die zech jedesmahl antrieft, dem almusen
unnachläsig erlegen, in erwegung, er solches andern
ampts halben verbieten und wehren solte. Damit
auch solches nicht verdüscht32, soll es ein jeder ge-
meins man bei seinen pflichten zuo gewönlicher zeit
zue rügen schüldig und verbunden sein.
3. Damit auch zucht, erbarkeit, gehorsam und
mäsigkeit bei dinstbotten, handwercksleuten, tag-
löhnern und andern dergleichen arbeitern desto be-
ßer gehandhabt werde, so ists billich, 329v | daß
durch strengen ernst alle leichtfertigkeit, untrew,
faulheit und ubermeßiges abfreßen und -saufen, da-
durch die haußherrn, meister und bawersleuthe, die
des gesints nicht entrhaten33 können, von denselben
dinstbotten, handwerckern, taglöhnern und andern
arbeitern beschweret und ausgesogen, abgeschaffet
werden.
4. Sollen derwegen unsere amptleuthe und diener
jedes orts mit ernst dran sein, daß gewiße ordnun-
gen disfals, wie es nemblich mit underhaltung des
gesinds, der taglöhner, handwercker und derglei-
chen, ihres lohns, eßens und trinckens halben nach
notturft und nicht zum uberfluß zue halten ange-
stellet, publiciret und darüber bei gewißer auf die
ubertrettung gesezter straf ernstlich gehalten, und
was von den ubertrettern, herrn oder gesindte, ein-
gebracht, in das almusen geliefert werde.
5. Wie dan auch alle unsere ober- und unde-
ramptleuthe und diener, insonderheit aber, die dero
armen weysen vormundschaften und deren järlichen
rechnungen furgesezet sint, bei vermeidung unserer
ungnad und straf mit allem 330r | fleiß dran sein

32 Vertuscht, verheimlicht.
33 Entbehren, Grimm, DWb 3, Sp. 580.
34 Verwandte.
35 Reichlich, Grimm, DWb 14, Sp. 186.
36 Tauglich.
37 Ermessen.
38 Anheimfallen, zur Last fallen.

und warnehmen sollen, daß mit den armen vatter-
und muterlosen kindern durch stiefvätter oder -mü-
ter, vormünder und freundt34 trewlich gehandelt,
denen nichts entwendet, daß ihre nicht verschwen-
det, aufgefreßen und -gesoffen, sondern ihnen rhät-
lich35 aufgehaben, zum besten angelegt und unnach-
läßig alle jar bestendige rechnung den amptleuthen
darüber gethan, die kinder durch gemelte freundt
oder vormunder zue handwercken, bawers- und an-
derer arbeit, darzue sie düglich36, ohne einigen ver-
zug, doch in unserer graf- und herrschafft oder ja
denen orthen allein, da es evangelisch und nicht ins
bapstumb, bei straf, nach ermeßigung37 der ampt-
leuthe, die auch ins almusen zueliefern, verdingt
worden, darmit sie dem gemeinen almusen nicht
heimbwachsen38. Wo aber einiger solcher mangel ge-
spürt, sollen erwehnte unsere amptleuthe und diener
jedes orts alsbalt erkündigung pflegen und rechnung
erfordern, die undüchtigen vormunder absezen und
tauglichere an ihre statt verordnen und nicht, biß
die kinder an bettelstab getrieben, zuesehen.
6. Wo dan arme kinder, denen ihre eltern nichts
| 330v | verlaßen39, an einem orth vorhanden, sollen
alsbald schultheis, rhat und gericht deßelben orths
mit den freundten handlen, daß solchen kindern
nichts desto weniger vormünder, so viel ihre
leibe40 belanget, gegeben, und bei ihren freundten
und nachbawrn so viel zuewegen bringen, damit sol-
che zue handwerckern, bawers- und anderer arbeit
und dinsten undergebracht werden, da aber brest-
hafte41 kinder vorhanden, dran sein, daß denen
sonst42 werde geholfen.
7. Und soll in summa an keinem orth jemants, es
sei frembder oder inheimischer, müßiggang (welcher
dan ein ursprung aller laster und ubels, auch der
anfang des bettlens ist43) gestattet, sonder alsbalt
durch den schultheißen oder zentgräfen, bürger-
meister, rhat und gericht jedes orts furbeschei-

39 Hinterlassen, vererben.
40 Ihr leibliches Wohl.
41 Gebrechliche, Kranke.
42 Auf andere Weise.
43 Sprichwort: Müßiggang ist die Mutter aller Sünden,
TPMA 3 (1996), S. 172f.

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