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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (14. Band): Kurpfalz — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1969

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https://doi.org/10.11588/diglit.30629#0100
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her. Bereits vor der Beerdigung des Bruders und noch vor der Eröffnung des Testaments nahm er Hul-
digungen der Untertanen ein. Durch Handstreiche setzte er sich in den Besitz der Testamentsexemplare,
die in Amberg und in Heidelberg bei der Universität lagerten, so daß die von Ludwig bestellten Kon-
tutoren nur durch vertrauliche Mitteilungen des Verstorbenen von ihrer Bestellung zu solchen wußten.
Insbesondere Ludwig von Württemberg wollte aus Sorge um die Erziehung des Kurprinzen und um das
Schicksal der kurpfälzischen lutherischen Kirche die alleinige Herrschaft Johann Casimirs um jeden
Preis verhindern. Doch wurde ein beim Reichskammergericht eröffneter Prozeß vom Pfalzgrafen mit
Absicht verschleppt. Die kaiserliche Belehnung für ihn war schon im Mai 1585 ausgefertigt. Und als
1589 eine gerichtliche Entscheidung gegen ihn fiel, hatte er bereits in allen strittigen Fragen Tatsachen
geschaffen, die nicht mehr rückgängig zu machen waren. Eine Erklärung des Kurprinzen von 1590
zugunsten seines Onkels machte den Streit schließlich gegenstandslos.
Johann Casimir hatte schon 1584 die lutherischen Erzieher seines Mündels entlassen und ihm an
deren Stelle die Reformierten Otto von Grünrad als Hofmeister und Michael Lingelsheim, Christoph
Perbrant und Bartholomaeus Pitiscus als Lehrer verordnet. Behauptungen lutherischer Fürsten, daß
der kleine Kurprinz unter Tränen zum reformierten Gottesdienst gezwungen worden sei, erscheinen
wenig glaubwürdig. Vielmehr entwickelte sich sein Verhältnis zu seinem Vormund ausgesprochen herz-
lich. Der wissenschaftliche Rang seiner Lehrer bürgte für die Qualität der Erziehung. Und Friedrich IV.
dankte diesen später dadurch, daß er sie in hohe Ämter erhob. Das wichtigste Ergebnis dieser Erziehung
war, daß Friedrich IV. als Erwachsener in politischem Konzept und reformiertem Bekenntnis völlig
in die Fußtapfen des Onkels trat.
Johann Casimir scheint nicht von vorneherein einen völligen Wandel in den kirchlichen Verhält-
nissen Heidelbergs und der Kurpfalz beabsichtigt zu haben. Das Leichenbegängnis und die Leichen-
predigten für Ludwig VI. wurden von lutherischen Theologen gehalten. Aber Christoph Ehem als Kanz-
ler und Daniel Tossanus als Hofprediger, beide einstmals unter schweren Anklagen aus Heidelberg
entfernt, drängten den Fürsten weiter84. Als eine Petition von Hofleuten und Heidelberger Bürgern eine
Kirche für den reformierten Gottesdienst erbat, wollte Johann Casimir ihnen St.Peter oder die Bar-
füßerkirche eingeräumt wissen. Aber Tossanus bestimmte ihn dazu, in Wiederholung der Vorgänge von
1576 die Heiliggeistkirche als die größte der Stadtkirchen für das Bekenntnis des Landesherren zu bean-
spruchen. So wurde die lutherische Geistlichkeit am 29. November 1583 in die Kanzlei beschieden und
von Ehem mit diesem fürstlichen Begehren vertraut gemacht. Die Antwort war Protest, denn die luthe-
rischen Prediger fühlten sich an ihre auf die kirchlichen Stellen spezifizierten Bestallungen gebunden,
sie wiesen auf die mannigfachen praktischen Schwierigkeiten, die sich im Falle ihrer Zustimmung er-
geben würden, hin und begegneten dem von Ehem ihnen auferlegten Kondemnationsverbot mit dem
Hinweis auf ihre Verpflichtung zur Wahrung der reinen Lehre, für die sie die Konfession des neuen
Landesherren nicht halten könnten. Dieser Protest blieb fruchtlos. Am 1. Dezember wurde mit einer
Predigt des Johann Philipp Mylaeus in Heiliggeist der reformierte Gottesdienst eröffnet. Dem nun auf
den Kanzeln der Stadt anhebenden Lehrstreit wollte der Administrator durch ein Kolloquium zwischen
den Theologen beider Konfessionen in der Kanzlei in seiner Gegenwart am 4. Dezember 1583 steuern.

84 für das Folgende sind die zeitgenössischen, von beiden streitenden Parteien hervorgebrachten Schriften zu ver-
gleichen. Von reformierter Seite: Warhafter bericht von der vorgenommenen verbesserung in kirchen und schulen der
churfürstlichen Pfaltz und nechst zu Heydelberg gehaltener disputation von dem h. abendmal. (Neustadt a. d. H.)
Matthäus Harnisch 1584 (Exemplare in Staatsb. München 40 Polem. 147 und Landesb. Speyer 30.2871). Von
lutherischer Seite: Wahrhaftiger gründlicher bericht, was sich in der churfürstlichen Pfalz, sonderlich in der stadt
Heydelberg mit veränderung der religion und einführung der calvinischen falschen lehre, abschaffung reiner kirchen-
diener und doctoris Grynaei calvinischen disputation daselbsten verloffen.Wider den unwarhaften bericht der heydel-
bergischen calvinischen theologen ... Tübingen, Georg Gruppenbach, 1585 (Exemplar in Landesb. Speyer 30.2871).
Danach, weil Aktenmaterial zitierend, viele wörtliche Auszüge bei Struve, S. 385-482.

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