Metadaten

Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (14. Band): Kurpfalz — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1969

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.30629#0101
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Doch weigerten die Lutheraner, als ihnen Tossanus die reformierte Anschauung über Zweinaturen- und
Abendmahlslehre vorzutragen unternahm, ein formloses Religionsgespräch und bestanden auf einer zu
protokollierenclen Disputation. Die persönliche Zurückhaltung Johann Casimirs scheint ihnen Hoff-
nungen gemacht und sie in ihrem Widerstande gegen dessen reformierte Ratgeber bestärkt zu haben.
Hatten die bisherigen Bemühungen der neuen Regierung und der reformierten Partei der Herstel-
lung eines schiedlich-friedlichen Verhältnisses der Konfessionen gegolten, so warf der nächste ihrer
Schritte das Problem der kirchlichen Gemeinschaft auf. Zum Jahreswechsel befahl der Administrator,
in den Seniorrat der Stadt reformierte Mitglieder zu gemeinsamer Amtsführung aufzunehmen und deren
Namen in der üblichen Weise nach Jahresbeginn auch in den lutherischen Kirchen der Stadt zu verkün-
den. Dem begegneten die lutherischen Senioren mit zwei Eingaben, in der zweiten vom 20. Januar 1584
wiesen sie unter Hinweis auf ihre bisherige zur Beobachtung von lutherischem Bekenntnis und Gottes-
dienstordnung verpflichtende Instruktion das fürstliche Ansinnen zurück. Darauf antwortete der Pfalz-
graf mit einstweiliger Suspendierung des Seniorrats.
Inzwischen hatten einige Unbedachtsamkeiten den Zorn Johann Casimirs gegen die renitenten
Kirchenmänner geweckt und ihm Vorwände zu hartem Durchgreifen geliefert. So hatte der General-
superintendent Petrus Patiens in einem Kirchengebet zum Antritt der neuen Regierung wohl wegen der
umstrittenen Vormundschaftsangelegenheit des Administrators nicht namentlich gedacht. In Heidelberg
verglichen die Hofprediger Johannes und Paulus Schechsius Johann Casimir mit Jerobeam und Ahab,
in Oppenheim eiferten Konrad Geraeus, ein Schwiegersohn des Flacius, und Gottfried Heshusen, ein
echter Sohn seines Vaters, in ähnlicher Weise gegen ihn und seine Beamten. Damit mußte sich dem
Pfalzgrafen die Einsicht aufdrängen, daß die Zeit der Kompromißversuche vorüber und die Notwendig-
keit harten Durchgreifens unumgänglich sei. Nun folgen die Maßnahmen Schlag auf Schlag. So wenig,
wie Ludwig VI. einst den letzten Willen seines Vaters geachtet hatte, so wenig gab Johann Casimir nun
auf den des Bruders.
Am 4. Januar 1584 wurden die beiden Hofpredigerbrüder Schechsius, einst bei Ludwig VI. von
beträchtlichem Einfluß, entlassen, an demselben Tag das Kirchenratsgemach verschlossen, da die
Kirchenräte die Loyalität verweigerten. Am 15. Januar wurde der Generalsuperintendent Petrus
Patiens, ,,dieser hierzulande unübliche Papst“85, abgeschafft, zwei nichttheologische Kirchenrats-
assessoren und der Kirchenratssekretär abgesetzt und die Professoren Kirchner und Schopper von ihrem
Predigtamt entbunden. Auch auf dem Lande beginnt nun die ,,Abschaffung von Clamanten“.
Die Rechtsgrundlage solcher Maßnahmen wurde
80. Pfaltzgraf Johann Casimirs etc., vormunds und der churfürstlichen Pfaltz administrators etc.,
mandat und befelch, daß bey etlichen kirchen und schuln in der Churpfaltz eingerissene condemnirn
und lestern uf der cantzel und in den schuln fürther zu underlassen und abzuschaffen [vom 19. Fe-
bruar 1584].
Es ist durch die erfolglosen pfalzgräflichen Vorstellungen gegen das Kondemnieren vom November/
Dezember 1583 vorbereitet. Zu seiner Rechtfertigung werden die Fürstenübereinkunft von 1570 und der
daraufhin erfolgte Befehl Friedrichs III. vom 12. August 1570 (vgl. zu Nr. 46 oben), der Vertrag
zwischen Ludwig VI. und Johann Casimir vom 27. Januar 1578, der die Polemik der beiderseitigen
Theologen verbot86, und die in diesem Sinne lautende Vorrede der Kirchenordnung von 1577 (Nr. 60,
Text bei Nr. 7) angezogen. Damit soll motiviert werden, daß das Mandat auch von lutherischer Seite an-
genommen werden könne.

85 Vgl. v. Bezold, Briefe II, S. 197.
86 Vgl. Kuhn, Pfalzgraf Johann Casimir, S. 85.

75
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften