Und doch ist hier eine, freilich verschleierte Bekenntnisänderung vorgenommen. Die Abendmahls-
lehre soll nach der Heiligen Schrift, den altkirchlichen Symbolen, der Confessio Augustana, wobei
zwischen variata und invariata absichtlich kein Unterschied gemacht wird, und der Apologie gehalten
sein, in der Zweinaturenlehre soll nach dem Ephesinum und dem Chalcedonense gelehrt werden. Die
in Marburg 1529 und Wittenberg 1536 festgelegten Übereinstimmungen werden gegenüber den unver-
glichenen Punkten, die eine freie allgemeine Synode bereinigen soll, herausgestrichen. Dies ist genau die
reformierte, durch die Neustadter Publikationen der Vorjahre geführte Argumentationsweise gegen die
Konkordienformel und für die Zugehörigkeit des deutschen Reformiertentums zur Konfessionsverwandt-
schaft und zum Religionsfrieden. Darüber hinaus kassiert der Pfalzgraf entgegenstehende Bestimmun-
gen der bis dahin gültigen Kirchendienerbestallungen (Nr. 66 und auch 67) und eines uns unbekannten
Befehls vom 19. Juli 1583, der angeblich ohne Wissen Ludwigs VI. erfolgt sei. Neben einer längeren
Apologie der reformierten Abendmahls- und Zweinaturenlehre wird besonders die Abhaltung reformiert
Gesinnter von den Sakramenten, Gevatterschaft, Begräbnis und Ratsämtern verboten.
Das Mandat ist ausdrücklich nur für die Rheinpfalz bestimmt. Das oberpfälzische Gegenstück
datiert vom 24. November 1584 und lautet bei gleicher Tendenz gänzlich anders87. Am 2. März 1584 wurde
die Heidelberger Form den dortigen lutherischen Stadtpredigern eröffnet, die seine Annahme in einer
ausführlich begründeten Resolution verweigerten. Lucas Osiander in Stuttgart beantwortet es umgehend
mit einem polemischen Traktat, daß ,,die christliche Prediger und Zuhörer in der churfürstlichen
Pfalz ... nicht stumme Hunde werden noch reißende Wölf für getreue Hirten ansehen sollen“, der einen
wahren Streitschriftenkrieg zwischen Heidelberg und Stuttgart und Tübingen auslöst. Da die lutheri-
schen Professoren der Theologischen Fakultät inzwischen in ihren Disputationen weiterhin die Kontro-
verslehren erörterten, ließ der Administrator das Mandat am 26. März in vierfacher Ausfertigung den
Fakultäten der Universität aushändigen mit dem Bescheid, daß am 4. April der Basler Theologe
Johann Jakob Grynaeus im Auditorium der Philosophischen Fakultät eine Disputation über das
Abendmahl halten werde. Für die Theologen antworteten Rektor und Senat, daß die Theologen ihres
Amts und Gewissens halber dem Mandat nicht nachkommen könnten.
Würdigt man das Mandat angesichts seiner geschichtlichen Situation, daß es sich an eine noch fast
intakte lutherische Landeskirche wandte, für deren Prediger es die Suspendierung ihrer vollen Bekennt-
nisverpflichtung bedeutete und denen es die Zulassung Reformierter zur Abendmahlsgemeinschaft vor-
schrieb, so wird man es kaum für ein Dokument der Irenik halten können88, da es die Konzessionen der
Gegenseite kraft obrigkeitlichen Gebots erzwang. Es ist vielmehr, indem es die betroffenen lutherischen
Theologen vor den casus confessionis stellte, das eigentliche Dokument des Bekenntniswechsels der kur-
pfälzischen Kirche. Denn schon ist in ihm die im Heidelberger Katechismus niedergelegte Lehre als die
offizielle Kirchenlehre bezeichnet89. Indem die Regierung nur die theologische Polemik verbot, sicherte
sie sich zugleich für ihre weiteren Maßnahmen ein gutes Alibi.
Der Durchsetzung der fürstlichen Lehre sollte die angekündigte Disputation dienen. Grynaeus war
von Tossanus empfohlen worden, da er, einst in Tübingen von Jakob Andreae promoviert, die Schwä-
chen der Argumentation der Gegner besonders gut kennen mußte und diesem, da er bisher noch nicht als
Verfasser von Streitschriften hervorgetreten war, zur ,,Reinigung des Augiasstalles“ in Heidelberg be-
87 Plakatdruck in Stadt-A. Amberg, Kirchen- und Religionssachen, Faszikel II, Akt 14,fol. 4. Buchdruck von 1584
mit ganz geringfügigen Varianten des Textes untereinander in Staats-A. Amberg, Oberpfalz. Religions- und Re-
formationswesen Nr. 79 unter a) und in Landesb. Speyer 30.2871. Eine Erneuerung für die Oberpfalz von 1591 in
Staats-A. Amberg, Oberpfälz. Religions- und Reformationswesen Nr. 79 und Nr. 80/81. Text Sehling XIII,
S. 325-327
88 Gegen Holtmann, S. 198—200.
89 Dies ist zu Merkel, S. 85, festzustellen, der diesen Übertritt in der Publikation der Kirchenordnung von 1585
sieht.
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lehre soll nach der Heiligen Schrift, den altkirchlichen Symbolen, der Confessio Augustana, wobei
zwischen variata und invariata absichtlich kein Unterschied gemacht wird, und der Apologie gehalten
sein, in der Zweinaturenlehre soll nach dem Ephesinum und dem Chalcedonense gelehrt werden. Die
in Marburg 1529 und Wittenberg 1536 festgelegten Übereinstimmungen werden gegenüber den unver-
glichenen Punkten, die eine freie allgemeine Synode bereinigen soll, herausgestrichen. Dies ist genau die
reformierte, durch die Neustadter Publikationen der Vorjahre geführte Argumentationsweise gegen die
Konkordienformel und für die Zugehörigkeit des deutschen Reformiertentums zur Konfessionsverwandt-
schaft und zum Religionsfrieden. Darüber hinaus kassiert der Pfalzgraf entgegenstehende Bestimmun-
gen der bis dahin gültigen Kirchendienerbestallungen (Nr. 66 und auch 67) und eines uns unbekannten
Befehls vom 19. Juli 1583, der angeblich ohne Wissen Ludwigs VI. erfolgt sei. Neben einer längeren
Apologie der reformierten Abendmahls- und Zweinaturenlehre wird besonders die Abhaltung reformiert
Gesinnter von den Sakramenten, Gevatterschaft, Begräbnis und Ratsämtern verboten.
Das Mandat ist ausdrücklich nur für die Rheinpfalz bestimmt. Das oberpfälzische Gegenstück
datiert vom 24. November 1584 und lautet bei gleicher Tendenz gänzlich anders87. Am 2. März 1584 wurde
die Heidelberger Form den dortigen lutherischen Stadtpredigern eröffnet, die seine Annahme in einer
ausführlich begründeten Resolution verweigerten. Lucas Osiander in Stuttgart beantwortet es umgehend
mit einem polemischen Traktat, daß ,,die christliche Prediger und Zuhörer in der churfürstlichen
Pfalz ... nicht stumme Hunde werden noch reißende Wölf für getreue Hirten ansehen sollen“, der einen
wahren Streitschriftenkrieg zwischen Heidelberg und Stuttgart und Tübingen auslöst. Da die lutheri-
schen Professoren der Theologischen Fakultät inzwischen in ihren Disputationen weiterhin die Kontro-
verslehren erörterten, ließ der Administrator das Mandat am 26. März in vierfacher Ausfertigung den
Fakultäten der Universität aushändigen mit dem Bescheid, daß am 4. April der Basler Theologe
Johann Jakob Grynaeus im Auditorium der Philosophischen Fakultät eine Disputation über das
Abendmahl halten werde. Für die Theologen antworteten Rektor und Senat, daß die Theologen ihres
Amts und Gewissens halber dem Mandat nicht nachkommen könnten.
Würdigt man das Mandat angesichts seiner geschichtlichen Situation, daß es sich an eine noch fast
intakte lutherische Landeskirche wandte, für deren Prediger es die Suspendierung ihrer vollen Bekennt-
nisverpflichtung bedeutete und denen es die Zulassung Reformierter zur Abendmahlsgemeinschaft vor-
schrieb, so wird man es kaum für ein Dokument der Irenik halten können88, da es die Konzessionen der
Gegenseite kraft obrigkeitlichen Gebots erzwang. Es ist vielmehr, indem es die betroffenen lutherischen
Theologen vor den casus confessionis stellte, das eigentliche Dokument des Bekenntniswechsels der kur-
pfälzischen Kirche. Denn schon ist in ihm die im Heidelberger Katechismus niedergelegte Lehre als die
offizielle Kirchenlehre bezeichnet89. Indem die Regierung nur die theologische Polemik verbot, sicherte
sie sich zugleich für ihre weiteren Maßnahmen ein gutes Alibi.
Der Durchsetzung der fürstlichen Lehre sollte die angekündigte Disputation dienen. Grynaeus war
von Tossanus empfohlen worden, da er, einst in Tübingen von Jakob Andreae promoviert, die Schwä-
chen der Argumentation der Gegner besonders gut kennen mußte und diesem, da er bisher noch nicht als
Verfasser von Streitschriften hervorgetreten war, zur ,,Reinigung des Augiasstalles“ in Heidelberg be-
87 Plakatdruck in Stadt-A. Amberg, Kirchen- und Religionssachen, Faszikel II, Akt 14,fol. 4. Buchdruck von 1584
mit ganz geringfügigen Varianten des Textes untereinander in Staats-A. Amberg, Oberpfalz. Religions- und Re-
formationswesen Nr. 79 unter a) und in Landesb. Speyer 30.2871. Eine Erneuerung für die Oberpfalz von 1591 in
Staats-A. Amberg, Oberpfälz. Religions- und Reformationswesen Nr. 79 und Nr. 80/81. Text Sehling XIII,
S. 325-327
88 Gegen Holtmann, S. 198—200.
89 Dies ist zu Merkel, S. 85, festzustellen, der diesen Übertritt in der Publikation der Kirchenordnung von 1585
sieht.
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