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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Arend, Sabine [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (17. Band, 2. Teilband = Baden-Württemberg, 4): Reutlingen, Ulm, Esslingen, Giengen, Biberach, Ravensburg, Wimpfen, Leutkirch, Bopfingen, Aalen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.30657#0488
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Ravensburg

Memmingen, Lindau, Biberach und Wangen kam schließlich Ende 1554 ein Vertrag zustande.104 Der voll-
ständige Text scheint nicht überliefert zu sein, es findet sich lediglich ein „Extrakt“, in dem zwar die
friedliche gemeinsame Nutzung der Klosterkirche durch die Anhänger beider Konfessionen angemahnt,
nicht jedoch auf die Einzelheiten der praktischen Umsetzung eingegangen wird. Diese ersieht man jedoch
zum Teil aus einem Grundriss der Kirche, den die evangelische Gemeinde in Druck gab.105 Hiernach blieben
Chor und Langhaus durch einen Lettner baulich voneinander getrennt. Die Beschriftung des Plans erläu-
tert: der Chor, dessen sich die h. h. Catholici zu ihrer Kirche alleine bedienen. Zu dem von den Evangelischen
genutzten Teil heißt es: die kirche der h. h. Augsp. Confess. verwandten, das Langhauß genandt. Bezüglich der
von den Evangelischen genutzten Sakristei erwähnt der Plan noch eine Besonderheit, die von den Streitig-
keiten zwischen den Konfessionsanhängern zeugt, nämlich das Mäurlin, so die H. H. Carmeliten ausserhalb
der Kirchen zu Verduncklung dieser Sacristey aufgeführt, und aber hinweg gethan worden.

8. Mandate zur Toleranz unter den Anhängern verschiedener Konfessionen 22. März 1555 / 17. Mai 1585
(Text S. 496)
Trotz der Nutzung der Karmeliterkirche durch Katholiken und Protestanten und der Mahnung zu fried-
lichem Umgang miteinander kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern bei-
der Konfessionen. In dem Bemühen, jeglichen Glaubensstreitigkeiten frühzeitig zu begegnen und damit den
Frieden des städtischen Gemeinwesens zu wahren, erließ der Rat 1555 ein Mandat zur gegenseitigen Tole-
ranz, worin er den Anhängern beider Konfessionen bei Strafe verbot, sich in Belangen, ihren Glauben
betreffend, zu beschimpfen. In einem weiteren Mandat von 1585 wandte er sich gegen die Unsitte einiger
Gläubigen, die Gottesdienste der jeweils anderen Konfession allein deshalb zu besuchen, um deren Anhän-
ger anschließend zu verspotten.106 Dieses Verbot musste der Rat 1609 nochmals bekräftigen.107

9. Lutherisches Abendmahlsbekenntnis 19. Januar 1557 (Text S. 498)
Die Jahre nach 1552 waren in Ravensburg geprägt von innerprotestantischen Auseinandersetzungen. Nach
Beendigung des Interims bemühte sich der Rat erneut um geeignete Theologen, die das evangelische Kir-
chenwesen der Reichsstadt wieder aufrichten sollten. Er holte Johannes Willing108 zurück, der bereits 1548
kurz in der Reichsstadt gepredigt hatte: Wiliing war in Memmingen und zuletzt in Straßburg als Prediger
tätig gewesen. Auf Anraten Johann Marbachs ging er am 8. Juni 1552 zusammen mit Friedrich Wagner
nach Ravensburg.109 Willing hing der zwinglianischen Glaubensrichtung an. 1554 bekannte er sich öffentlich
zu Zwingli und polemisierte gegen die Luther-Anhänger.110 Vermutlich Ende des Jahres wurde er gegen den

104 Holzer, Streit, S. 52f. In der chronikalischen Aufzeich-
nung „Kurzer, doch gründtlicher Begriff und Bericht“
(HStaatsA Stuttgart B 198 I, Bü 54) heißt es hierzu:
Unerachtet aber dessen, haben sye hernach in ainem anno
1554 zwischen dem rath unnd burgerschafft aufgerichten
vertrag inserieren lassen, daß es mit verwilligung unnd ver-
gleichung deß provincials gemelts ordenß geschehn seye etc.,
in der kirchen dem convent carmeliten zuegehörig, also selb-
sten bekhennen, daß die kürch nit ihnen, sondern den
h. carmeliten zuegehörig seye.
105 Der Plan ist Hafner, Evangelische Kirche, beigeheftet
und wiederabgedruckt bei Holzem, Konfessionskampf,
S. 64 sowie Schmauder, Evangelische Stadtkirche,
S. 8.

106 Köhler, Ehegericht II, S. 345 Anm. 72; Hofacker,
Reformation, S. 120; Rudolf, Ravensburg, S. 16.
107 StadtA Ravensburg Bii 487c/2 vom 5. Juni 1609.
108 Zu Willing siehe Seeling, Willing, S. 21-34.
109 Willings Anstellungsurkunde (StadtA Ravensburg
Bii 485 BC/1, 2) ist abgedruckt bei Hafner, Evangeli-
sche Kirche, S. 50-52. Vgl. Warmbrunn, Konfessionen,
S. 203; Dreher, Geschichte II, S. 764; Hofacker,
Reformation, S. 119; Seeling, Willing, S. 22.
110 Dreher, Geschichte II, S. 764. Willings Streitreden
waren auch gegen die Katholiken gerichtet, Abt Gerwig
Blarer führte im Januar 1554 Beschwerde darüber,
Warmbrunn, Konfessionen, S. 205 Anm. 65; vgl. Hof-
acker, Reformation, S. 120.

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