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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Dörner, Gerald [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (20. Band = Elsass, 1. Teilband): Straßburg — Tübingen: Mohr Siebeck, 2011

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https://doi.org/10.11588/diglit.30661#0433
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38. Kirchenordnung von Johannes Marbach

Also muß man fur allen dingenn denn krancken fur-
haltenn den spiegell des gesetzes, darinnen er sich
wol beschawenn und erkennen lerne, wie er billig
leyde, das auch seiner mißhanndlung nach alles ley-
den zu wenig sey, sondern er von rechtes wegenn vil
mehr leydenn solte. Daher dienen die gebete der
vetter, so in der straffe Gottes sich demutiglich er-
kantt habenn, als David im 50. Psalm [3]307: Mise-
rere mei, Deus etc., item Azarias, Daniel 3308, item
Daniel 9 [3-19], item das gebete des konigs Ma-
nasse309. Hierumb soll man auffs allererste dem
kranckenn die offne schuldt oder beichte furspre-
chenn und durchs gesetze zu demut, gedult, erkent-
nus sein selbst etc. vermanen, den er ist staub und
muß widerumb zu staube werdenn, Gen. 3 [19].
Zum andernn, wan der kranckh durch furhal-
tung gottlichs gesetz also ist gedemüti- |171| gett,
soll man in tröstlich widerumb aufrichtenn und ein-
bildenn die großen verheysungenn unnd reyche
gaben Gottes, die er uns in dem artickel des h.
Christlichen Glaubens anbeut310, zusagt und gibtt,
darumb wir den schoß unsers hertzen nur fest auff-
halten sollenn, die selbigenn darein zu enttpfahenn.
Sollenn auch alhie garnitt ansehenn, ob wir des wir-
dig oder unwirdig sein, sonder alein, wie guetig,
milt, warhafftig Gott seye, der in dem seine herlig-
keitt beweysenn will.
Item, wie lieb im sey Christus, unser lieber herr,
sein eingeborner son, der alle ding uberflüßig311 umb
Gott verdienett und erworben, auch uns umb sonst
aus gnadenn geschenckt hatt, solchenn glaubenn in
uns zubefestigen, hatt er die beyde sacramentt oder
heylige gottliche warzeychenn der tauff und seines
fronleichnams gegebenn, welche man dem kran-
ckenn fleysig furhaltenn soll. Denn |172| obwol der
tod unnd Gottes gericht erschrecklich ist, wen wir
uns selber ansehenn, so ists doch edel und lieblich,

o Die Seitenzahl 172 ist zweimal vergeben.
307 Nach der Zählung der Vulgata; in der Lutherbibel Ps.
51,3.
308 Das Gebet Asarjas (= Abed-Nego, s. Dan 1,7) ist über-
liefert in den (apokryphen) Zusätzen zum Buch Daniel
(ZusDan 3,1-26).
309 Gemeint ist das apokryphe Gebet Manasses, als er in
Babel gefangen war (OrMan).

wen wir den gnedigenn gunst und vetterlichen wil-
len Gottes darinnen vermerckenn und anders glau-
ben dan wir entpfindenn, darumb David spricht,
Psalm CXV [15]312: O wie thewr ist der tod seiner
heyligen fur dem herrenn.
Zum dritten soll man hier auch dem kranckenn
das Vatter unser fleysig furhaltenn und sein gemuet
zu lieb oder begird obgemelter ding bewegenn, den
Gott erhört die begürd der armen, Psal. 9 [13], wo
sey mit gleubigen gemuet zu im schreyenn, also das
ein jeder, der den nammen des herrenn wurd anruf-
fenn, soll selig werdenn, Rom. 10 [12-13], er seye
gleich jude oder heyde. Im gebett aber soll der
mensch gar nit ansehenn, was er verdientt habe und
wirdig seye oder nit, sondern alein den befelch Got-
tes, der nur |172|o heysett bittenn313. Derhalbenn wir
ungnad förchtenn mußenn, so wir solch gebett ver-
achtenn und nit bittenn wöllenn, wie der konig
Ahab thett, Jes. 7 [12]. Ob auch der kranck nit
gleych entpfinde in seinem gewißenn demutige
furcht, so das gesatz wirckett, noch kecklich ver-
trawenn des glaubens, so das evangelion wirckett,
demnach nit desto minder soll er bittenn, wie Jonas
thett, Jone 2 [2-10], das314 er im walfisch steckete in
todesnöten und angst der hellenn. Welche gebete
sich auch wol reimet zu315 den sterbendenn, wiewol
das Vatter unser das best ist auff dysenn punct,
gleych als die Zehenn Gebott auffs erst und die
stück des Symboli auffs ander.
Nach gehaltnenn underricht, so der krancke sich ei-
nen armen sünder bekennt und des trosts begirig ist,
auch nochmals das h. abentmal zu einer gewyssenn
|173| versicherung der göttlichenn gnadenn zu emp-
fahen begert, als dan bereyt man den tisch mit auff-
gelegtem duch fein erlich316 zu der comunio. Und
sollenn die nachbawren unnd freundschafft317 darzu

310 Anbietet.
311 Im Übermaß.
312 Nach der Zählung der Vulgata; in der Lutherbibel Ps.
116,15.
313 Vgl. Mt 7,7; Lk 11,9.
314 Da, weil, s. FWb 5, Sp. 246.
315 Passen für.
316 Ehrerbietig.
317 Verwandten.

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