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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (6. Band: Niedersachsen ; 2. Hälfte): Die welfischen Lande: Halbbd. 2, Die Fürstentümer Calenberg-Göttingen und Grubenhagen mit den Städten Göttingen, Northeim, Hannover, Hameln und Einbeck. Die Grafschaften Hoya und Diepholz. Anhang: Das freie Reichsstift Loccum — Tübingen, 1957

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https://doi.org/10.11588/diglit.30041#0251
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Kirchenordnung 1539

möchten, befelh gegeben. Und ist im selbigen
text und capitel wol zu merken, das von dem
cotidiano ministerio, das ist, teglicher hand-
reichung, gesagt wird. Denn aus demselbigen
wird abermals offenbar, das zur selbigen zeit
merkliche und grosse steur auf anregen und
anhalt der lieben aposteln armen leuten ge-
schehen sey.
Dieweil wir nu solcher lere Christi und der
aposteln exempel nach unser liecht auch gerne
wölten scheinen lassen, haben wir armen leu-
ten zu gut einen gemeinen kasten aufrichten
und was etwa aus unwissenheit durch frome
leut zu erhaltung der falschen gottesdienste ge-
geben ist, in denselbigen verordnen wöllen 37. Denn
was einmal in Gottes ehre gegeben ist, sol bil-
lich auch ewiglich in Gottes ehre gebraucht
werden. Und wenn gleich misbrauch in solchen
dingen furhanden, wie denn leider viel gewesen
ist, so sol wol der misbrauch durch Gottes wort
gebessert, aber die güter, so einmal in Gottes
ehre gegeben, nicht verruckt werden.
Sollen derhalben erstlich in diesen kasten fal-
len alle renthe, zinse und gefelle, so bisher die
pfarkirche gehabt hat, doch mit dem gedinge,
das diejenigen, so leibgedinge bisher von ge-
melter kirchen gehabt, dieselbigen behalten ihr
leben lang und darnach die kirche zu dem ihren
wider kome.
Zum andern sollen alle lehne darein fallen,
so ein erbar radt und die gilden zu verleihen
haben38, doch mit dem bescheide, das die prie-
ster, so solche lehen haben, ihr leben lang die-
selbigen brauchen mögen. Seind aber itzt 'etliche
los gesborben, so sollen dieselbigen niemands39

37 Die Kastenordnung ist nach Wittenberger
Vorbild aufgestellt; vgl. Sehling I, 707 ff.
38 Der Rat hatte das Altarlehen am Siechen-
haus (vgl. unten Anm. 58) abwechselnd mit
dem Abt des Klosters zu vergeben; vgl. G. J.
Vennigerholz II, 93. An der Fabian-Sebastian-
Kapelle (vgl. Anm. 32) hatte er das ius prae-
sentandi für die dort messelesenden Priester;
vgl. H. Bartels, 18; A. Hueg, Reformation,
18. Bei Rat u. Gilden gab es Stiftungen zu
Memorien usw.; vgl. A. Hueg, ibid.

weiter gelihen, sondern von stund an in den
armenkasten fallen.
Zum dritten; ob imand von den sengern ster-
ben würde, so sol solchs einkomens durch einen
erbaren radt auch in gemelten armenkasten ver-
ordnet werden. Denn dieweil die stadt Northeim
die kirchendiener, als schulmeister, seine gesel-
len, den opferman und organisten, erhalten mus,
ists billich, das sie auch zu solcher bürde etliche
steur haben. Es sol auch dieser artickel alle sen-
ger angehen.
Zum vierden sol in diesen kasten alles, was
von brüderschaften ist, verordnet werden, als
nemlich der steffeler, höpfner, S. Hulfen40, der
schützen, die langen kerssen41 etc. Denn dieweil
solche zinse auf unchristliche bruderschaft ge-
stiftet, so ist billich, das sie nu laut dem gött-
lichen wort unter die rechten brüder Christi,
das ist, arme, notürftige, kranke leut geteilt
werden.
Es sollen aber durch einen erbaren radt vier
gottsforchtige, ehrliche und frome menner aus
den gilden erwelet und, solange ihnen geliebet,
bestetigt werden. Dieselbigen sollen mit den
itzigen alterleuten gleichen gewalt haben und
die gefelle des gemeinen kastens dermassen auf
weise und masse, wie volgt, aufnemen und aus-
teilen, das sie solchs nicht allein fur Gott, son-
dern auch vor einem erbaren radt, dem sie
jerlich auf Michaelis rechnung thun sollen, in
beywesen des predicanten, doch dem radt und
der oberkeit onschedlich, zu verantworten wissen.
Erstlich sol die kirche in zimlichem gebeue
gehalten und ob etwas zu besseren oder zu
machen von nöten, mit wissen und willen eins
39 Druckvorlage: neimands.
40 Ueber diese Bruderschaften ist nichts Nä-
heres bekannt; steffeler = Stiefeler?; höpf-
ner = Leute, die sich mit dem Bau und der
Verwendung von Hopfen beschäftigen; S.
Hulfen: wohl eine Bruderschaft St. Salvator;
vgl. dazu Schiller u. Lübben II, 331.
41 doch wohl = Kerzen, offenbar eine Spende
von langen Kerzen oder von Wachs.

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