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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Sprengler-Ruppenthal, Anneliese [Oth.]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 2. Halbband, 1. Teil): Stift Hildesheim, Stadt Hildesheim, Grafschaft Oldenburg und Herrschaft Jever — Tübingen: J.B.C. Mohr (Paul Siebeck), 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.32954#0253
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deutlicher wird. Die Ordnung dient dazu, auf Zucht und Polizei gute Aufsicht zu haben, wie dies in der
Ordnung zur Ablösung des Sendgerichts angesprochen war. Sie ergänzt insofern das Fragment. Man
könnte sogar auf den Gedanken kommen, die Kirchenzucht- und Polizeiordnung sei selbst ein Stück
der KO von 1548?7. Sie unterwirft der landesherrlichen Polizei Vergehen, über die zu urteilen sonst dem
Sendgericht vorbehalten war. Die ostfriesische Polizeiordnung baut das Sendgericht als Ehegericht noch
in die landesherrliche Gesetzgebung ein28. In Jever iSt auch die Ehegerichtsbarkeit frei von den tradi-
tionellen kirchlichen Einrichtungen. Die eigentliche Kirchenzucht, von der unsere Ordnung spricht, ist
Lehrzucht. Sie richtet Sich gegen die „Holländer“, die sich im Land niedergelassen haben. In der Graf-
schaft Ostfriesland wandte man sich mit der in der Polizeiordnung von 1545 vorgesehenen „munste-
runge‘‘ gegen die Sekten der niederländischen Täufer David Joris, Johann von Batenburg und Menno
Simons, wobei man sich nur von Examen und Unterweisung der Mennoniten etwas versprach29. In
jener Zeit spätestens sollen die Täufer auch nach Jever gekommen sein30. In der Kirchenzucht- und
Polizeiordnung ist ein ausführliches Verhör der „Holländer“ durch die Amtleute und Pastoren vor-
gesehen. Nach Gelegenheit sollen sie dann zur Besserung gemahnt oder aus dem Land getrieben werden.
Mit allzu großer Strenge ist man in Jever aber offenbar nicht gegen die Täufer vorgegangen. Möglicher-
weise wendet sich die Zucht- und Polizeiordnung, wenn darin von den Holländern die Rede ist, auch
gegen den von den Niederlanden kommenden Zuzug von Reformierten, wie er in Ostfriesland für die
kirchliche Entwicklung von Anbeginn der Reformation an so maßgeblich war. In der Bibliothek Rem-
mers von Seediek befanden Sich zwar auch Bücher reformierter Autoren31, aber Sonst Scheint man
sich östlich orientiert zu haben. Fräulein Maria ermöglichte es etlichen Studenten, in Wittenberg zu
Studieren, darunter den Söhnen Remmers von Seediek Theophil und Georg32. Auch gab Fräulein Maria
junge Jeveraner auf ihre Kosten in das lutherische Lüneburg zu Lukas Lossius im Pension und Unter-
richt33. Nach dem Tod Remmers von Seediek 1557 wurde der Wittenbergschüler Sidonius Popken
Rentmeister und Geheimer Rat Marias34.

27 Vgl. L. Schauenburg, Beiträge, 22; G. Rüthning 1, 346.

28 Sehling VIJ1, 1, 403f.

29 401.f.

30 Sichere Nachrichten über das Wirken der Täufer im Jeverland erhalten wir durch die Erklärung der Prediger zum
Interim (vgl. oben S. 974, Anm. 8). So berichtet Jacobus Theoderici, Pastor zu Oldorf (aaO. 130): „Audio tamen
in secta anabaptistarum — caeteris proponi indiscriminatim quemlibet ex plebe. Concionantur agricolae, Sartores,
sutores, textores, lanii, aurigae, et nulla anus est tam delira et excors, quae non ausit inter eos im publico loqui de
misteriis fidei. Ego autem pro meo iuditio audeo dicere, quod anabaptistae ab ecclesia Christi se separaverunt,
veritatem dereliquerunt, quid igitur mirum, si sine ordine vivant et agant omnia“. Vgl. L. Schauenburg, Täufer-
bewegung, 12, Anm. 15. Bis auf wenige Ausnahmen, die nichts davon erwähnen, wenden Sich die Prediger in ihren
Erklärungen zum Interim gegen die Täufer ; vgl. Schauenburg, aaO. 13. Scharf gegen die Täufer wenden ich
auch die um 1560 entstandenen Verbesserungen des Jeverschen Stadtrechts ; vgl. Chr. F. Strackerjan, Beiträge
zur Geschichte der Stadt Jever, 85f. (zu diesen Verbesserungen vgl. H. Rogowski, 27, und oben S. 972, Anm. 26);
Schauenburg, aaO. 33f. Es wird in den ‚Verbesserungen‘ darüber geklagt, daß viele von den mancherlei Sekten
und Rotten, sonderlich der Wiedertäufer und Sakramentsschänder, bei den umliegenden Nachbarn und sonst allent-
halben vorhanden seien und täglich zunehmen. Fräulein Maria samt ihren Amtleuten und Bürgermeistern sicht
für gut an, daß sich jeder Bürger und Einwohner der Stadt Jever solcher Sekten und Rotterei gänzlich entschlage
und enthalte und keineswegs teilhaftig mache. Käme jemand innerhalb von Jever in irgendeine Herberge und würde
sich mit Worten oder Werken zugunsten dieser Sekten und Rotten vernehmen lassen, den sollte der Wirt gütlich ver-
mahnen, Sich Solcher Worte und Werke gänzlich zu enthalten. Bliebe die Vermahnung ohne Erfolg, Sollte der Wirt
verpflichtet sein, den Bürgermeistern die Sache anzuzeigen; diese sollten Fräulein Maria Meldung erstatten, damit
die Angelegenheit beraten werden könnte.

31 Vgl. oben S. 973, Anm. 2.

32 Vgl. H. Hamelmann, Opera, 809. 810; G. Rüthning I, 349; H. Harms, 44.

38 Vgl. Oldenburgisches Urkundenbuch VI, Nr. 1107 (Herbst 1547); Nr. 1125 (20.4.1548). Zu Lossius (1508 bis
1582, seit 1540 Konrektor am Johanneum in Lüneburg) vgl. W. Merten, MGG VI111, 1217ff.; W. Blanken-
burg, RGG3 IV, 451; Sechling VI, 1, 658, Anm. 39.

34 Vgl. H. Hamelmann, Opera, 807f. 810.

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