Einleitung
immer stärker unter Druck; mit jedem Zugeständnis gegenüber den Vertretern der Gilden und der Meinheit
verlor er an Kontrolle über die Stadt96. Hilfe suchte er schließlich beim befreundeten Magdeburg, das wie
Goslar Mitglied des Sächsischen Städtebundes war. Auf Bitten des Goslarer Rates stellte Magdeburg im
März 1528 Amsdorf der Stadt Goslar zur Verfügung. Anscheinend hatten sich die Ratsherren zuvor bereits
einmal an den Magdeburger Rat gewandt, um durch dessen Vermittlung die Delegierung Johannes Bugen-
hagens aus Wittenberg zu erwirken97. Da das Werben um Bugenhagen erfolglos blieb, ersuchte man den
Magdeburger Rat am 1. März 1528 um die Überlassung Amsdorfs für vier Wochen, „damit der großen
Drangsal geholfen und dem zu befürchtenden merklichen Aufruhr in der Stadt gesteuert werde“98.
Nikolaus von Amsdorf (1483-1565) war 1524 aus Wittenberg nach Magdeburg gekommen und hatte
dort die Pfarrstelle an der Ulrichskirche übernommen. Er organisierte die Kirche und das Schulwesen der
Stadt neu nach dem Vorbild Wittenbergs. Neben den Altgläubigen mit den Domherren an der Spitze hatte
Amsdorf in den ersten Jahren seiner Tätigkeit in Magdeburg auch mit Anhängern der zwinglischen Abend-
mahlsauffassung und mit dem Spiritualisten und Täufer Melchior Hoffman zu kämpfen99.
Amsdorf hielt seine erste Predigt in Goslar am 8. März 1528 in der Marktkirche. Seine Berufung war
nicht unumstritten, gerade auch in den Reihen des Rates. So schrieb der engere Rat am 14. März 1530 an
den Syndikus Konrad Dellinghusen, sie seien von den Ihren ungeduldig um einen Prediger angegangen
worden und hätten daher die Stadt Magdeburg um die Entsendung Amsdorfs gebeten. In ähnlicher Weise
äußerte sich Johannes Hardt in einem Brief an die Kanzlei in Mainz: Der gemeine Mann und die Berg-
knappen hätten den Rat zur Berufung Amsdorfs genötigt100. Von außen wurde Druck auf den Rat ausgeübt:
So warnte der Hildesheimer Bischof vor den negativen Auswirkungen der reformatorischen Neuerungen auf
die Prozesse vor dem Reichskammergericht, und der Kurfürst von Brandenburg Joachim I. zeigte sich in
einem Brief vom 25. März entsetzt über die Berufung des „Ketzerpredigers“ Amsdorf101. Angesichts des
mangelnden Rückhalts innerhalb der Führung der Stadt wollte Amsdorf die Stadt schon nach drei Wochen
wieder verlassen102.
1. Die „Articuli Jacobitarum“, 18. März 1528 (Text S. 223)
In die Zeit von Amsdorfs Aufenthalt in Goslar fällt das erste hier abgedruckte Dokument: ein in Artikel-
form gefaßtes Gesuch der Gemeinde St. Jakobi. Die Schrift ist in zwei Exemplaren im Bestand B 4546 des
Goslarer Stadtarchivs überliefert: in Form eines Entwurfs mit Ergänzungen und Korrekturen und in Form
einer Reinschrift, die aber nur einen kleinen Teil des Textes enthält. Die Reinschrift trägt den Titel „Arti-
culi Jacobitarum“; diese Bezeichnung hat sich in der Literatur weitgehend durchgesetzt. Bei den „Articuli“
handelt es sich um einen Katalog von zwölf Forderungen, welche die Pfarrleute der Gemeinde St. Jakobi am
18. März 1528 den beiden Ratsherren Ludeke Flogel und Hans Arnsberg mit der Bitte übergaben, sie an
den Goslarer Rat weiterzuleiten103.
96 Vgl. Seven, Goslarer Reformation, S. 80.
97 Dies legt zumindest ein Brief des Magdeburger Kantors
Georg Krynner an seinen Wittenberger Studienfreund
Stephan Roth vom 4. Dezember 1527 nahe: Dy von Goslar
haben semptlich, rad und gemeyn, bey unsern herrn von
Magdburg gebethen, sich czu bemühen, ob sy den Pommer
von Wittenberg vermochten, das er eyn czeit lang bey yn
mocht seyn und das wort Gottes anfangen, aber solchs hath
sich czur czeit nicht wolt schicken, veröffentlicht in Otto
Clemen, Briefe aus Magdeburg 1527-1530, in: ZKG 44
= NF 7 (1925), S. 98-105, hier S. 101f.; wieder abgedruckt
in Ders., Kleine Schriften 5, Leipzig 1984, S. 205ff.
98 Zitiert nach Hölscher, Geschichte der Reformation,
S. 34. Am gleichen Tag wandte sich der Goslarer Rat in
einem Brief auch an Amsdorf mit der Bitte, die schwierige
Aufgabe zu übernehmen.
99 Vgl. TRE 2, S. 490f.; Kolb, Nikolaus von Amsdorf, S. 35-
46.
100 Die beiden Schreiben werden in Auszügen von Höl-
scher, Geschichte der Reformation, S. 35f. wiedergege-
ben.
101 Zu den Briefen des Bischofs von Hildesheim und des Kur-
fürsten von Brandenburg vgl. ebd., S. 40-44.
102 Vgl. das Schreiben Amsdorfs an den Rat in StadtA Goslar
B 4546.
103 Vgl. Hölscher, Geschichte der Reformation, S. 24. Als
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immer stärker unter Druck; mit jedem Zugeständnis gegenüber den Vertretern der Gilden und der Meinheit
verlor er an Kontrolle über die Stadt96. Hilfe suchte er schließlich beim befreundeten Magdeburg, das wie
Goslar Mitglied des Sächsischen Städtebundes war. Auf Bitten des Goslarer Rates stellte Magdeburg im
März 1528 Amsdorf der Stadt Goslar zur Verfügung. Anscheinend hatten sich die Ratsherren zuvor bereits
einmal an den Magdeburger Rat gewandt, um durch dessen Vermittlung die Delegierung Johannes Bugen-
hagens aus Wittenberg zu erwirken97. Da das Werben um Bugenhagen erfolglos blieb, ersuchte man den
Magdeburger Rat am 1. März 1528 um die Überlassung Amsdorfs für vier Wochen, „damit der großen
Drangsal geholfen und dem zu befürchtenden merklichen Aufruhr in der Stadt gesteuert werde“98.
Nikolaus von Amsdorf (1483-1565) war 1524 aus Wittenberg nach Magdeburg gekommen und hatte
dort die Pfarrstelle an der Ulrichskirche übernommen. Er organisierte die Kirche und das Schulwesen der
Stadt neu nach dem Vorbild Wittenbergs. Neben den Altgläubigen mit den Domherren an der Spitze hatte
Amsdorf in den ersten Jahren seiner Tätigkeit in Magdeburg auch mit Anhängern der zwinglischen Abend-
mahlsauffassung und mit dem Spiritualisten und Täufer Melchior Hoffman zu kämpfen99.
Amsdorf hielt seine erste Predigt in Goslar am 8. März 1528 in der Marktkirche. Seine Berufung war
nicht unumstritten, gerade auch in den Reihen des Rates. So schrieb der engere Rat am 14. März 1530 an
den Syndikus Konrad Dellinghusen, sie seien von den Ihren ungeduldig um einen Prediger angegangen
worden und hätten daher die Stadt Magdeburg um die Entsendung Amsdorfs gebeten. In ähnlicher Weise
äußerte sich Johannes Hardt in einem Brief an die Kanzlei in Mainz: Der gemeine Mann und die Berg-
knappen hätten den Rat zur Berufung Amsdorfs genötigt100. Von außen wurde Druck auf den Rat ausgeübt:
So warnte der Hildesheimer Bischof vor den negativen Auswirkungen der reformatorischen Neuerungen auf
die Prozesse vor dem Reichskammergericht, und der Kurfürst von Brandenburg Joachim I. zeigte sich in
einem Brief vom 25. März entsetzt über die Berufung des „Ketzerpredigers“ Amsdorf101. Angesichts des
mangelnden Rückhalts innerhalb der Führung der Stadt wollte Amsdorf die Stadt schon nach drei Wochen
wieder verlassen102.
1. Die „Articuli Jacobitarum“, 18. März 1528 (Text S. 223)
In die Zeit von Amsdorfs Aufenthalt in Goslar fällt das erste hier abgedruckte Dokument: ein in Artikel-
form gefaßtes Gesuch der Gemeinde St. Jakobi. Die Schrift ist in zwei Exemplaren im Bestand B 4546 des
Goslarer Stadtarchivs überliefert: in Form eines Entwurfs mit Ergänzungen und Korrekturen und in Form
einer Reinschrift, die aber nur einen kleinen Teil des Textes enthält. Die Reinschrift trägt den Titel „Arti-
culi Jacobitarum“; diese Bezeichnung hat sich in der Literatur weitgehend durchgesetzt. Bei den „Articuli“
handelt es sich um einen Katalog von zwölf Forderungen, welche die Pfarrleute der Gemeinde St. Jakobi am
18. März 1528 den beiden Ratsherren Ludeke Flogel und Hans Arnsberg mit der Bitte übergaben, sie an
den Goslarer Rat weiterzuleiten103.
96 Vgl. Seven, Goslarer Reformation, S. 80.
97 Dies legt zumindest ein Brief des Magdeburger Kantors
Georg Krynner an seinen Wittenberger Studienfreund
Stephan Roth vom 4. Dezember 1527 nahe: Dy von Goslar
haben semptlich, rad und gemeyn, bey unsern herrn von
Magdburg gebethen, sich czu bemühen, ob sy den Pommer
von Wittenberg vermochten, das er eyn czeit lang bey yn
mocht seyn und das wort Gottes anfangen, aber solchs hath
sich czur czeit nicht wolt schicken, veröffentlicht in Otto
Clemen, Briefe aus Magdeburg 1527-1530, in: ZKG 44
= NF 7 (1925), S. 98-105, hier S. 101f.; wieder abgedruckt
in Ders., Kleine Schriften 5, Leipzig 1984, S. 205ff.
98 Zitiert nach Hölscher, Geschichte der Reformation,
S. 34. Am gleichen Tag wandte sich der Goslarer Rat in
einem Brief auch an Amsdorf mit der Bitte, die schwierige
Aufgabe zu übernehmen.
99 Vgl. TRE 2, S. 490f.; Kolb, Nikolaus von Amsdorf, S. 35-
46.
100 Die beiden Schreiben werden in Auszügen von Höl-
scher, Geschichte der Reformation, S. 35f. wiedergege-
ben.
101 Zu den Briefen des Bischofs von Hildesheim und des Kur-
fürsten von Brandenburg vgl. ebd., S. 40-44.
102 Vgl. das Schreiben Amsdorfs an den Rat in StadtA Goslar
B 4546.
103 Vgl. Hölscher, Geschichte der Reformation, S. 24. Als
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