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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]; Dörner, Gerald [Oth.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 2. Halbband, 2. Teil): Grafschaft Schaumburg, Goslar, Bremen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.30840#0381
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Einleitung

Laut Luthers Schreiben an Linck vom 19. Dezember 1522 geschah das Predigen Zütphens mit der
Zustimmung des Bremer Rates (iubente senatu). Es dürfte sich anfangs aber wohl eher um eine stillschwei-
gende Duldung des Rates gehandelt haben als um eine ausdrückliche Genehmigung. Als sich das Kapitel
des Ansgariistiftes, unterstützt von den Domherren, über die Predigttätigkeit Zütphens beschwerte und
eine Ausweisung des Mönches aus der Stadt forderte, bat der Rat die Bauherren der Kirche um eine
Stellungnahme. Den Bericht der Bauherren, nach welchem Zütphen Gottes Wort „lauter und rein“ predige,
sandte er an das Kapitel96.
Da der Rat keine weiteren Schritte unternahm, wandten sich die Stiftsherren an den Bremer Erzbischof
Christoph von Braunschweig-Lüneburg. Eine Gesandtschaft des Erzbischofs forderte daraufhin vom Bre-
mer Rat die Auslieferung des ketzerischen Mönchs unter Hinweis auf die Pflichten der Stadt gegenüber dem
geistlichen Oberhirten und Landesherrn. Der Rat zog sich aber darauf zurück, daß die Angehörigen des
Kirchspiels den Mönch in ihren Dienst genommen hätten. Eine Aufkündigung des Zütphen gewährten
Schutzes hielt der Rat nur für möglich, wenn nachgewiesen werden könne, daß sich dessen Verkündigung
gegen das Wort Gottes richte. Der Rat selbst schlug eine Disputation Zütphens mit Geistlichen der Gegen-
seite vor97.
Bei zwei Verhandlungen der Stände des Erzstifts in Basdahl und auf der Giehler Mühle am 11. und 20.
Dezember 1522 erneuerte der Erzbischof seine Forderung nach Auslieferung Zütphens. Die Stadt Bremen
wurde beschuldigt, trotz des gegen Luther verhängten päpstlichen Banns und in Mißachtung der kaiserli-
chen Acht, einen Mönch der gleichen Sekte und Ketzerei in ihren Mauern zu beherbergen. Anfang 1523
übersandte Erzbischof Christoph dem Bremer Rat ein Schreiben der Statthalterin der Niederlande Mar-
garethe, in welchem eine Überstellung des „Gefangenen des Kaisers“ verlangt wurde98.
Für den 10. März 1523 berief der Erzbischof eine Provinzialsynode nach Buxtehude. Auf ihr sollte sich
Heinrich von Zütphen wegen seiner Verkündigung verantworten. Trotz der Zusicherung freien Geleits wei-
gerte sich Zütphen, nach Buxtehude zu reisen, erklärte sich aber zu einer öffentlichen Disputation in Bre-
men bereit99. Als Grundriß seiner theologischen Auffassungen sandte er der Synode seine Thesen, mit denen
er im Januar 1521 in Wittenberg zum Baccalaureus biblicus promoviert worden war. Im Mittelpunkt der
Thesen steht die Rechtfertigungslehre (s. vor allem den dritten Abschnitt der Thesen: Evangelium et
fides)100.
Nur wenige Tage nach der Provinzialsynode, über deren Verlauf wir keine Nachrichten besitzen, da die
entsprechenden Akten fehlen, ließ der Erzbischof am 21. März 1523 das Wormser Edikt gegen Luther und
seine Anhänger am Dom und am Rathaus anschlagen. Um sich der Unterstützung der Bürgerschaft für
seine Haltung im Fall Zütphen gegenüber dem Erzbischof zu versichern, berief der Rat daraufhin am 24.
März eine Versammlung der Sorten ein, eines beratenden Bürgerausschusses aus Kaufleuten und Zünf-
ten101. Der Bürgerauschuß stellte sich ausdrücklich hinter die Politik des Rates und erklärte, Bruder Hein-
rich so lange behalten zu wollen, bis er aus der Heiligen Schrift widerlegt worden sei. Zugleich forderte er

Dezember 1522 in Luther, WA Br 2, Nr. 557, S. 632: Ipse
Henricus ad nos ascensurus Bremam pervenit, ubi moratus
et rogatus a populo verbum docet [...]. Miro desiderio et voto
populus afficitur, denique nuper ad nos proprium biblio-
polam aliqui instituerunt, qui ad eos ferat libros ex Wittem-
berga. Ipse Henricus a te postulavit literas obedientiales, sed
non poteramus attingere te tam brevi. Ideo dedimus nos ei
sub tuo nomine, sigillo Prioris nostri; tu, si voles, poteris
confirmare nostrum factum.
96 Vgl. Iken, Erste Epoche, S. 50; Heyne, Reformation in
Bremen, S. 16.
97 Vgl. Iken, Erste Epoche, S. 51-53; Heyne, Reformation
in Bremen, S. 17f.

98 Vgl. Iken, Erste Epoche, S. 53f.; Heyne, Reformation
in Bremen, S. 18f.
99 Vgl. Iken, Erste Epoche, S. 54f; Elfers, Erzstift Bre-
men, S. 12; Heyne, Reformation in Bremen, S. 19f.;
Sehling, EKO VII,2,1, S. 64, Anm. 7.
100 Abdruck der in lateinischer Sprache abgefaßten Thesen
in: Quellen zur Reformationsgeschichte (Anhang I),
S. 288-292; ebd., S. 294-298 findet sich auch eine nieder-
deutsche Übersetzung der Thesen.
101 Zu den Sorten vgl. Schwarzwälder, Bremen-Lexikon
2, S. 817.

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