Herbert Hunger
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geprägten Sinn für einen möglichst ökonomischen Einsatz der Zeit, in einem uner-
müdlichen Vorwärtseilen, das kaum ein retardierendes Moment zur Kenntnis nehmen
wollte und das man fast schon als ungeduldig bezeichnen könnte: So manches konnte
für Herbert Hunger nicht schnell genug gehen. Gewiß waren ihm Goethes Worte „Es
ist die Zeit von einem guten Werke nicht das Maß“ stets bewußt, doch auf der ande-
ren Seite steht sein Horaz-Zitat nonum prematur in mum, wenn er sich im Jahre
1969, anläßlich des Erscheinens des zweiten Bandes seines „Katalogs der griechischen
Handschriften der Österreichischen Nationalbibliothek“, gleichsam dafür entschul-
digte, daß seit der Publikation des ersten Bandes dieses Katalogs nahezu neun Jahre
verstrichen waren (neun Jahre, in denen er, um einiges vorwegnehmend festzuhalten,
immerhin eine ordentliche Professur an der Universität Wien mit allen dazugehörigen
Vorlesungsverpflichtungen übernommen, ein eigenes Universitätsinstitut gegründet
und zügig ausgebaut hatte und mit verantwortungsvollsten Aufgaben im Präsidium
der Österreichischen Akademie der Wissenschaften betraut worden war) - eine Unge-
duld, die er auch als Emeritus, von den universitären Verpflichtungen befreit, und als
„Altpräsident“ der Österreichischen Akademie der Wissenschaften nie ganz ablegte:
Ausufernde Sitzungen waren ihm nach wie vor als Zeitvergeudung verhaßt, und selbst
in seinen letzten selbständigen Veröffentlichungen findet man in den Vorworten häu-
fig als „Leitmotiv“ eine Erklärung, warum das Erscheinen des jeweiligen Bandes „so
lange“ gebraucht habe.
Doch zurück zum Jahre 1947, in die Zeit der Entlassung Hungers aus russischer
Gefangenschaft: Ende 1947 trat Hunger als wissenschaftlicher Beamter in die Öster-
reichische Nationalbibliothek ein und erhielt vom damaligen Generaldirektor Josef
Bick den Auftrag, sich unter anderem der Ausarbeitung eines Katalogs der nahezu
1.100 griechischen Handschriften der Bibliotheca Palatina Vindobonensis zu widmen
- eine Aufgabe, an die sich Herbert Hunger im Jahre 1949, nach der Ablegung der
Bibliothekarsprüfung, mit dem ihm eigenen Elan machte und die er auch unter ungün-
stiger werdenden äußeren Voraussetzungen (nicht jeder Nachfolger im Amte Bicks
hatte dessen großzügiges Verständnis für wissenschaftliches Ethos) vorantrieb, eine
Aufgabe, der Hunger bis zum endgültigen Abschluß der Katalogisierung im Jahre
1994 treu blieb, mit dem Erfolg, daß die Österreichische Nationalbibliothek nunmehr
als weltweit so gut wie einzige Bibliothek mit einem großen Fonds an griechischen
Handschriften ein brauchbares, nach modernen Methoden erarbeitetes Instrumentari-
um zur Erschließung ihrer griechischen Bestände zur Verfügung hat. Mehr noch: Die
von Hunger erarbeiteten Katalogisierungsrichtlinien wurden sehr bald international
führend und gelten heute als verbindliches Modell für die Beschreibung griechischer
Handschriften, als bestens ausgewogener Mittelweg zwischen allzu breit angelegten
Einzeldeskriptionen und allzu kursorisch ausgefallenen Angaben eines „Inventaire
sommaire“.
Die Arbeit an den griechischen Codices der Österreichischen Nationalbibliothek
hatte wesentliche Folgen für den weiteren wissenschaftlichen Werdegang Hungers:
Zum ersten mußte er sich, praktisch als Autodidakt, Kenntnisse auf dem Gebiet der
griechischen Paläographie aneignen - und was Hunger gerade hier geleistet hat, läßt
sich mit dürren Worten kaum beschreiben: Binnen weniger Jahre wurde er zu einem
der international führenden Gelehrten auf dem Felde der byzantinischen Schriftkun-
de, die er mit zahlreichen wegweisenden Veröffentlichungen bereicherte. Schon 1954
erschienen seine „Studien zur griechischen Paläographie“, in denen neben der metho-
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geprägten Sinn für einen möglichst ökonomischen Einsatz der Zeit, in einem uner-
müdlichen Vorwärtseilen, das kaum ein retardierendes Moment zur Kenntnis nehmen
wollte und das man fast schon als ungeduldig bezeichnen könnte: So manches konnte
für Herbert Hunger nicht schnell genug gehen. Gewiß waren ihm Goethes Worte „Es
ist die Zeit von einem guten Werke nicht das Maß“ stets bewußt, doch auf der ande-
ren Seite steht sein Horaz-Zitat nonum prematur in mum, wenn er sich im Jahre
1969, anläßlich des Erscheinens des zweiten Bandes seines „Katalogs der griechischen
Handschriften der Österreichischen Nationalbibliothek“, gleichsam dafür entschul-
digte, daß seit der Publikation des ersten Bandes dieses Katalogs nahezu neun Jahre
verstrichen waren (neun Jahre, in denen er, um einiges vorwegnehmend festzuhalten,
immerhin eine ordentliche Professur an der Universität Wien mit allen dazugehörigen
Vorlesungsverpflichtungen übernommen, ein eigenes Universitätsinstitut gegründet
und zügig ausgebaut hatte und mit verantwortungsvollsten Aufgaben im Präsidium
der Österreichischen Akademie der Wissenschaften betraut worden war) - eine Unge-
duld, die er auch als Emeritus, von den universitären Verpflichtungen befreit, und als
„Altpräsident“ der Österreichischen Akademie der Wissenschaften nie ganz ablegte:
Ausufernde Sitzungen waren ihm nach wie vor als Zeitvergeudung verhaßt, und selbst
in seinen letzten selbständigen Veröffentlichungen findet man in den Vorworten häu-
fig als „Leitmotiv“ eine Erklärung, warum das Erscheinen des jeweiligen Bandes „so
lange“ gebraucht habe.
Doch zurück zum Jahre 1947, in die Zeit der Entlassung Hungers aus russischer
Gefangenschaft: Ende 1947 trat Hunger als wissenschaftlicher Beamter in die Öster-
reichische Nationalbibliothek ein und erhielt vom damaligen Generaldirektor Josef
Bick den Auftrag, sich unter anderem der Ausarbeitung eines Katalogs der nahezu
1.100 griechischen Handschriften der Bibliotheca Palatina Vindobonensis zu widmen
- eine Aufgabe, an die sich Herbert Hunger im Jahre 1949, nach der Ablegung der
Bibliothekarsprüfung, mit dem ihm eigenen Elan machte und die er auch unter ungün-
stiger werdenden äußeren Voraussetzungen (nicht jeder Nachfolger im Amte Bicks
hatte dessen großzügiges Verständnis für wissenschaftliches Ethos) vorantrieb, eine
Aufgabe, der Hunger bis zum endgültigen Abschluß der Katalogisierung im Jahre
1994 treu blieb, mit dem Erfolg, daß die Österreichische Nationalbibliothek nunmehr
als weltweit so gut wie einzige Bibliothek mit einem großen Fonds an griechischen
Handschriften ein brauchbares, nach modernen Methoden erarbeitetes Instrumentari-
um zur Erschließung ihrer griechischen Bestände zur Verfügung hat. Mehr noch: Die
von Hunger erarbeiteten Katalogisierungsrichtlinien wurden sehr bald international
führend und gelten heute als verbindliches Modell für die Beschreibung griechischer
Handschriften, als bestens ausgewogener Mittelweg zwischen allzu breit angelegten
Einzeldeskriptionen und allzu kursorisch ausgefallenen Angaben eines „Inventaire
sommaire“.
Die Arbeit an den griechischen Codices der Österreichischen Nationalbibliothek
hatte wesentliche Folgen für den weiteren wissenschaftlichen Werdegang Hungers:
Zum ersten mußte er sich, praktisch als Autodidakt, Kenntnisse auf dem Gebiet der
griechischen Paläographie aneignen - und was Hunger gerade hier geleistet hat, läßt
sich mit dürren Worten kaum beschreiben: Binnen weniger Jahre wurde er zu einem
der international führenden Gelehrten auf dem Felde der byzantinischen Schriftkun-
de, die er mit zahlreichen wegweisenden Veröffentlichungen bereicherte. Schon 1954
erschienen seine „Studien zur griechischen Paläographie“, in denen neben der metho-