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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2001 — 2002

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I. Das Geschäftsjahr 2001
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Kresten, Otto: Herbert Hunger (9.12.1914 - 9.7.2000)
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https://doi.org/10.11588/diglit.66350#0136
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Herbert Hunger

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Jahrtausende bis in die Gegenwart hinein deutlich zu machen. Vor allem auf dem
Gebiet der Musik kamen hier auch Hungers persönliche Neigungen zum Tragen: Seine
große Liebe gehörte der aktiv (als Geiger) ausgeübten Kammermusik, und er war ein
ebenso eifriger wie begeisterter Besucher der Konzerte der Wiener Philharmoniker.
Im Sommer 1956 übernahm Herbert Hunger die Direktion der Papyrussammlung
der Österreichischen Nationalbibliothek - und wiederum läßt sich sofort eine volle
Identifikation Hungers mit einer neuen Aufgabe feststellen: Es folgte fast unmittelbar
eine Reihe von wichtigen papyrologischen Studien (etwa zur Logistie [1957], zu neu-
testamentlichen Papyrusfragmenten [1959] oder zum Papyrus Bodmer II [1960]),
Arbeiten, die Hungers internationalen Ruf auch auf diesem Gebiete verbreiteten.
Daneben nahm Hunger seine Lehrtätigkeit auf dem Gebiete der Byzantinistik an
der Universität Wien wahr (1956 hatte er zusätzlich zur venia docendi auch einen
Lehrauftrag aus griechischer Paläographie erhalten), freilich stets außerhalb seiner
Dienstzeit als Beamter der Österreichischen Nationalbibliothek. Daran änderte sich
auch nichts, als ihm im November 1958 der Titel eines außerordentlichen Universitäts-
professors verliehen wurde. Die entscheidende Wende brachte erst das Jahr 1962, als
an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien ein eigenes Institut für Byzan-
tinistik eingerichtet wurde und Hunger einen Ruf auf diese Lehrkanzel - die erste und
einzige in Österreich - erhielt.
Dies war, wie man ohne Übertreibung sagen kann, die eigentliche Geburtsstunde
der modernen wissenschaftlichen Byzantinistik in Österreich. Mit dem ihm eigenen
Elan machte sich Herbert Hunger an den Aufbau und den Ausbau „seines“ Univer-
sitätsinstitutes, das zunächst nur einige Zimmer in der Hanuschgasse umfaßte (in
unmittelbarer Nähe der Papyrussammlung und der Wieher Staatsoper), an die Schaf-
fung einer Institutsbibliothek (die dank seiner Bemühungen heute zu den internatio-
nal führenden Fachbibliotheken der Byzantinistik zählt) und an die Ausarbeitung
eines umfangreichen Vorlesungsprogramms, zu dessen Schwerpunkten byzantinische
Literatur und byzantinische Geschichte, aber auch das von ihm nunmehr als „Grund-
lagenforschung“ bezeichnete „Handwerkzeug“ (etwa Paläographie, Urkundenlehre
oder Sigillographie) gehörten. Gewiß - manches mag in der einen oder anderen inzwi-
schen erschienenen Publikation Hungers vorbereitet gewesen sein, literarische Aspek-
te etwa in seiner Anthologie „Byzantinische Geisteswelt von Konstantin dem Großen
bis zum Fall Konstantinopels“ (1958; Nachdruck 1967), historische Gesichtspunkte
in seinem für den sechsten Band der „Historia mundi“ verfaßten Beitrag „Byzanz in
der Weltpolitik vom Bildersturm bis 1453“ (ebenfalls 1958), doch vieles, sehr vieles,
wurde von ihm völlig neu erarbeitet. Der Umstand, daß Herbert Hunger auch als
akademischer Vortragender zu faszinieren verstand (wenn man erst einmal das harte
Brot seiner einführenden bibliographischen Übersichten „verdaut“ hatte...), führte
bald dazu, daß Hunger einen größeren Hörerkreis um sich scharen konnte, aus dem
sich mit der Zeit seine ersten Schüler im Vollsinn dieses Wortes herauskristallisierten.
Auch hier zeigte sich bald eine der unverkennbaren Charaktereigenschaften Hungers:
Mit sicherem Blick erkannte er die einzelnen Begabungen unter den Teilnehmern an
seinen Vorlesungen, Übungen und Seminaren; er förderte diejenigen, die sich bewähr-
ten, in großzügiger und nachdrücklicher Weise und bildete so binnen kurzem den
Nukleus einer eigenen „Schule", die heute als „Wiener Schule der Byzantinistik“ Welt-
geltung besitzt - von Herbert Hunger in der gesamten Breite des Faches geformt und
geprägt.
 
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