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JAHRESFEIER
läge für das psychiatrische Gutachten. In der entscheidenden Ministerratssitzung
(7. 6. 1886) erklärte Dr. v. Gudden erneut unter detailliertem Hinweis auf die angeb-
lich gleichartige Geisteskrankheit des Prinzen Otto, „dass seine Majestät der König
infolge schwerer geistiger Erkrankung dispositionsunfähig und regierungsunfähig sei Prinz
Luitpold hatte nach einer persönlichen Untersuchung gefragt. Dr. v. Gudden hielt
die gesammelten Unterlagen ftir „absolut ausreichend“.
Am 8. 6. wurde eine Gutachterkommission berufen, bestehend aus den Profes-
soren für Psychiatrie der drei bayerischen Universitäten: München - Dr. Bernhard v.
Gudden —, Würzburg — v. Guddens telephonisch vorinformierten Schwiegersohn
Dr. Grashey - und Erlangen - Dr. Hagen - sowie Dr. Hubrich, Direktor der Kreis-
irrenanstalt Werneck.
Bereits in der Nacht zum 8. 6. 1886 hatte Dr. v. Gudden das überarbeitete Gut-
achten niedergeschrieben. Am Morgen traf sich die Kommission und unterzeichne-
te [Geheimes Hausarchiv].
Das zusammenfassende Urteil der Gutachter lautet:
1. Seine Majestät sind in sehr weit vorgeschrittenem Grade seelengestört und zwar leiden
Allerhöchstdieseiben an jener Form von Geisteskrankheit, die den Irrenärzten aus Erfah-
rung wohl bekannt mit dem Namen Paranoia- (Verrücktheit) bezeichnet wird;
2. Bei dieser Form der Krankheit, ihrer allmähligen und fortschreitenden Entwicklung und
schon sehr langen, über eine größere Reihe von fahren sich erstreckenden Dauer, ist Seine
Majestät für unheilbar zu erklären und ein noch weiterer Verfall der geistigen Kräfte mit
Sicherheit in Aussicht;
3. Durch die Krankheit ist die freie Willensbestimmung Seiner Majestät vollständig ausge-
schlossen, sind Allerhöchstdieseiben als verhindert an der Ausübung der Regierung zu
betrachten, und wird diese Verhinderung nicht nur länger als ein fahr, sondern für die ganze
Lebenszeit andauern. [Geheimes Hausarchiv]
Bewertung des Begutachtungsverfahrens
Die Vorgehensweise dieser Begutachtung war ungewöhnlich. V. Gudden hatte sich
gegenüber dem Prinzen Luitpold, dem Ministerpräsidenten v. Lutz und dem Außen-
minister v. Crailsheim, von denen er sicher nicht unabhängig war, vor Erteilung des
Auftrags auf das Ergebnis festgelegt und vertraulich Material für die Begutachtung
mit gesammelt. Prinz Luitpold wies sich mit seinen Ermittlungsbriefen — vermutlich
von der Regierung verfaßt und von ihm gezeichnet - bereits als künftiger Regent
aus. Mit dem Ersuchen um Material für die psychiatrische Begutachtung des Königs
— eindeutig zwecks Absetzung wegen Geisteskrankheit — brachte er die Höflinge in
ernste Loyalitätskonflikte. Mit geeigneten Informationen für die psychiatrische
Begutachtung wurden abnorme, auf Krankheit verdächtige Beobachtungen verlangt.
Fähigkeiten und Leistungen des Königs waren nicht gefragt, sie tauchen im Gutach-
ten auch nicht auf. Die Darstellung von Lebensgeschichte undVerhalten des Königs
im Gutachten spiegelt diese Einseitigkeit drastisch wieder.
Absetzung, Entmündigung und Festsetzung
Der Gutachter Urteil wage ich nach fast 120 Jahren noch einmal in Frage zu stellen.
Sie hatten uns gegenüber keinen Informationsvorteil durch persönliche Unter-
JAHRESFEIER
läge für das psychiatrische Gutachten. In der entscheidenden Ministerratssitzung
(7. 6. 1886) erklärte Dr. v. Gudden erneut unter detailliertem Hinweis auf die angeb-
lich gleichartige Geisteskrankheit des Prinzen Otto, „dass seine Majestät der König
infolge schwerer geistiger Erkrankung dispositionsunfähig und regierungsunfähig sei Prinz
Luitpold hatte nach einer persönlichen Untersuchung gefragt. Dr. v. Gudden hielt
die gesammelten Unterlagen ftir „absolut ausreichend“.
Am 8. 6. wurde eine Gutachterkommission berufen, bestehend aus den Profes-
soren für Psychiatrie der drei bayerischen Universitäten: München - Dr. Bernhard v.
Gudden —, Würzburg — v. Guddens telephonisch vorinformierten Schwiegersohn
Dr. Grashey - und Erlangen - Dr. Hagen - sowie Dr. Hubrich, Direktor der Kreis-
irrenanstalt Werneck.
Bereits in der Nacht zum 8. 6. 1886 hatte Dr. v. Gudden das überarbeitete Gut-
achten niedergeschrieben. Am Morgen traf sich die Kommission und unterzeichne-
te [Geheimes Hausarchiv].
Das zusammenfassende Urteil der Gutachter lautet:
1. Seine Majestät sind in sehr weit vorgeschrittenem Grade seelengestört und zwar leiden
Allerhöchstdieseiben an jener Form von Geisteskrankheit, die den Irrenärzten aus Erfah-
rung wohl bekannt mit dem Namen Paranoia- (Verrücktheit) bezeichnet wird;
2. Bei dieser Form der Krankheit, ihrer allmähligen und fortschreitenden Entwicklung und
schon sehr langen, über eine größere Reihe von fahren sich erstreckenden Dauer, ist Seine
Majestät für unheilbar zu erklären und ein noch weiterer Verfall der geistigen Kräfte mit
Sicherheit in Aussicht;
3. Durch die Krankheit ist die freie Willensbestimmung Seiner Majestät vollständig ausge-
schlossen, sind Allerhöchstdieseiben als verhindert an der Ausübung der Regierung zu
betrachten, und wird diese Verhinderung nicht nur länger als ein fahr, sondern für die ganze
Lebenszeit andauern. [Geheimes Hausarchiv]
Bewertung des Begutachtungsverfahrens
Die Vorgehensweise dieser Begutachtung war ungewöhnlich. V. Gudden hatte sich
gegenüber dem Prinzen Luitpold, dem Ministerpräsidenten v. Lutz und dem Außen-
minister v. Crailsheim, von denen er sicher nicht unabhängig war, vor Erteilung des
Auftrags auf das Ergebnis festgelegt und vertraulich Material für die Begutachtung
mit gesammelt. Prinz Luitpold wies sich mit seinen Ermittlungsbriefen — vermutlich
von der Regierung verfaßt und von ihm gezeichnet - bereits als künftiger Regent
aus. Mit dem Ersuchen um Material für die psychiatrische Begutachtung des Königs
— eindeutig zwecks Absetzung wegen Geisteskrankheit — brachte er die Höflinge in
ernste Loyalitätskonflikte. Mit geeigneten Informationen für die psychiatrische
Begutachtung wurden abnorme, auf Krankheit verdächtige Beobachtungen verlangt.
Fähigkeiten und Leistungen des Königs waren nicht gefragt, sie tauchen im Gutach-
ten auch nicht auf. Die Darstellung von Lebensgeschichte undVerhalten des Königs
im Gutachten spiegelt diese Einseitigkeit drastisch wieder.
Absetzung, Entmündigung und Festsetzung
Der Gutachter Urteil wage ich nach fast 120 Jahren noch einmal in Frage zu stellen.
Sie hatten uns gegenüber keinen Informationsvorteil durch persönliche Unter-