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Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2004 — 2004

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I. Das Geschäftsjahr 2004
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Jahresfeier am 15. Mai 2004
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Häfner, Heinz: Ein unzurechtnungsfähiger (?) König an einem Wendepunkt deutscher Geschichte - Ludwig II. von Bayern
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https://doi.org/10.11588/diglit.66960#0035
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15. Mai 2004 | 47

suchung des Königs. Uns aber steht außer ihren einseitigen Unterlagen alles zur Ver-
fügung, was nach dem Tode des Königs noch bekannt geworden und was der for-
schenden Psychiatrie seither zugewachsen ist.
Nach Kenntnisnahme des Gutachtens hat der Ministerrat am 9.6.1886
gemeinsam mit Prinz Luitpold beschlossen, den Prinzen zum Reichsverweser zu
bestellen. Eine Staatskommission unter Leitung des Ministers von Crailsheim mit
Drs. v. Gudden und Müller - beide behandelnde Ärzte des geisteskranken Bruders
Otto - und vier Irrenpflegern wurde per Sonderzug nach Neuschwanstein
geschickt.7 Dem König sollte mit Schreiben des Prinzen Luitpold der Eintritt der
Reichsverwesung, die Entmündigung und seine Verwahrung auf Linderhof unter
ärztlicher Aufsicht „schonend“ eröffnet werden.
Die Kommission begab sich nach einem „Souper“8 in Hohenschwangau
gegen 3.00 Uhr zum Schloß. Der König ließ die am Schloßtor eintreffende Kom-
mission erst einmal von Gendarmen unter Bewachung festsetzen. Der Flügeladju-
tant, Graf Dürckheim-Montmartin, telegraphisch nach Neuschwanstein beordert,
wurde vom König in gedrückter Stimmung empfangen. Dürckheim war nicht ein
einziges Wort aufgefallen, das auf Geistesstörung schließen ließ, doch war der König
wütend auf die Kommission: „Ich fürchte die Leute werden mich heute noch übe fallen. Ich
bin doch kein Narr. Wozu das Binden? “.
Es war dem König eröffnet worden, daß auf Befehl v. Guddens Stricke und
Zwangsjacke in Bereitschaft gehalten wurden: „Man kann mich doch nicht als einen
Wahnsinnigen behandeln. Das ganze ist nur eine Geldfrage. Wenn mir jemand hier auf den
Tisch ein paar Millionen Mark legte, wollte ich sehen, ob man mich für wahnsinnig halten
würde. “
Als Dürckheim Befehl des Prinzregenten erhielt, sich sofort nach München zu
begeben, widrigenfalls er als Hochverräter angesehen werde, reagierte der König, der
ihn zum Bleiben aufgefordert hatte, tief erschüttert; dennoch sagte er: „ich sehe ein,
daß Sie zurückkehren müssen, sonst ist Ihre Karriere und Zukunft verloren“.9 Dann ver-
langte er Gift, um sich das Leben zu nehmen.
Nach dem Debakel der Staatskommission wurde der zweite Versuch der Inver-
wahrnahme des Königs den Psychiatern alleine überlassen, was im Hinblick auf die
verfassungsrechtliche und öffentliche Bedeutung dieses Akts bemerkenswert ist.

7 Weitere Mitglieder der Staatskommission: zwei Kuratoren (Reichsrat Graf Törring-Jettenbach
und Oberstallmeister Graf Holnstein), Oberstlieutenant Karl Theodor Freiherr von Washington,
Geheimer Rat Dr. Rumpler.
8 Speisenfolge des Mitternächtlichen Souper der Staatskommission: Consomme aux noques,
Truites ä la hollandaise, Poulet ä la Marengo,Terrine de foie gras, Cuissot de chevreuil röti, Asperges,
Creme ä la vanille aux framboises. Getränke: 10 Flaschen Champagner, 40 Maß bayerisches Bier
9 Von Dürckheim-Montmartin war tatsächlich bei seiner Ankunft festgenommen und wegen
Hochverrats ins Gefängnis verbracht worden. Bismarck machte die bayerische Regierung auf die
zweifelhafte Rechtsgrundlage dieses Vorwurfs und auf den schlechten Eindruck aufmerksam, den
dieses Vorgehen auf die militärische Moral habe, worauf v. Dürckheim-Montmartin ffeigelassen
und das Verfahren eingestellt wurde.
 
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