Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2004 — 2004

DOI Kapitel:
I. Das Geschäftsjahr 2004
DOI Kapitel:
Jahresfeier am 15. Mai 2004
DOI Artikel:
Häfner, Heinz: Ein unzurechtnungsfähiger (?) König an einem Wendepunkt deutscher Geschichte - Ludwig II. von Bayern
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.66960#0040
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
52 | JAHRESFEIER

einzubrechen - im Gutachten aufgefuhrt. Das meiste davon mag Gegenstand der
reichen Phantasie des Königs oder auch der Zeugen sein, die nachträglich - em
fragwürdiger Rechtsakt - vereidigt wurden. Keine dieser Taten war ausgeführt wor-
den.
Die Briefe Ludwigs sind bis zu seiner Festnahme orthographisch und gram-
matikalisch ohne Fehler. Die Handschrift der letzten Tage verrät allenfalls die
Gehetztheit des Königs. Natürlich entsprach das Verhalten Ludwigs nicht der Norm
seiner und unserer Tage. Seme Inszenierung absoluten Herrschertums kontrastierte
scheinbar mit seinen erotischen Vorlieben, die zu distanzlosen Intimitäten mit Män-
nern aus „niedrigem Stande“ führten. Von Halluzinationen, Wahn oder Geistes-
schwäche - und damit von einer paranoiden Schizophrenie — kann auch hier sicher-
lich nicht die Rede sein.
Der Zweifel am geistigen Verfall wird zur Gewißheit, wenn man die Reaktion
des Königs nach seiner Festnahme betrachtet. Plötzlich ist das gehetzte unkontrol-
lierte Geldbeschaffungsverhalten beendet. Trotz Erschütterung, Angst vor dem
Kommenden und Selbstmordmotivation hat er Contenance und Selbstkontrolle
wiedergefunden. Mehrere Zeugen berichteten über das besonnene und intelligente
Verhalten des Königs, so daß sogar der Gutachter Grashey vor dem Untersuchungs-
ausschuß einräumte: „...dass S.M. bis in die letzte Zeit imstande gewesen ist, logisch zu
denken und sogar mit einer gewissen Ausdauer und Zähigkeit zu handeln“.
Er hielt jedoch die Diagnose des Gutachtens aufrecht mit der Begründung, daß
solche normalen Momente für die primäre Verrücktheit charakteristisch seien.
Man fragt sich natürlich, weshalb v. Gudden, dem Prinz Luitpold die verfas-
sungsrechtlich nicht unbedeutende Frage nach einer Untersuchung als Grundlage
der Begutachtung gestellt hatte, auf die Chance eines entsprechenden Versuchs nach
der Festnahme des Königs verzichtet hat. Tatsächlich hatte der König selbst mehrfach
danach gefragt. Sein durchaus vernünftiges gesprächsbereites Verhalten, mit dem er
sich in sein ausweglos erscheinendes Schicksal scheinbar geschickt hatte, ließ einen
Versuch nicht von vorneherein aussichtslos erscheinen. Das wohlorgamsierte und
weder auf Psychose noch auf Geistesschwäche hinweisende Verhalten des Königs
dürfte jedenfalls Zweifel an der Diagnose der Gutachter erweckt haben und hat dies
auch bei einzelnen Gutachtern und Laien getan.
Woran also litt der König, wenn nicht an einer Psychose?
Im Gutachten werden die Begriffe „Baumanie“ [Wöbking, 1986, S. 23, bereits ab
1870!] und „süchtiges Bauen“ gebraucht. Die Autoren meinten damit die Abhän-
gigkeit des Königs von diesem Handlungsmuster. Je mehr der König Ablehnungen
erfuhr, desto verzweifelter wurde seine Geldsucht, betont Graf Lerchenfeld, und der
Verwendungszweck des Geldes war in erster Linie Schlösserbauen. Ludwig konnte
am Ende offenbar aus eigener Kraft nicht mehr anders handeln. Die Alternative, die
er sah, war Abdanken oder Tod.
So rannte er, als alle Mittel blockiert waren, verzweifelt gegen einige gesell-
schaftliche, politische und gesetzliche Hindernisse an, um wieder Geld oder Kredit
zu erhalten.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften