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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2004 — 2004

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III. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses: Das WIN-Kolleg
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2. Forschungsschwerpunkt: Kulturelle Grundlagen der Europäischen Einigung
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https://doi.org/10.11588/diglit.66960#0267
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Das WIN-Kolleg | 279

Ansätzen zu erarbeiten, mit denen man sich bisher der frühneuzeitlichen Konstruk-
tion von Vergangenheit gewidmet hat. Es soll dabei insbesondere um den Versuch
gehen, einen wissensgeschichtlich-archäologischen und politisch-genealogischen Blick zu ver-
binden - und damit einer Komplexität und Pluralität des Phänomens Rechnung zu
tragen, die durch allzu monolithische, teleologische oder anachronistische Sichtwei-
sen reduziert wird. Die frühneuzeitliche historia erweist sich somit als komplexer
‘symbolischer Diskurs“, der sich etablierten Scheidungen und vertrauten Perspekti-
ven moderner Kultur- und Geschichtswissenschaft(en) - etwa der zwischen Wissen
und Politik - verweigert und somit in besonderer Weise die Chance zu einer ent-
disziplinierten Kulturwissenschaft bietet. Bewußt soll bei der Analyse des Phäno-
mens von daher auf Kategorien wie die „Entdeckung der Geschichtlichkeit“,
„Geschichte als geschichtlicher Grundbegriff“, „Geschichtstheorie“, „Gedächtnis“
oder auch „Nationale Geschichtsbeschreibung“ verzichtet werden: denn ohne (die)
Wurzeln moderner Kultur und Staatlichkeit Europas in der Frühen Neuzeit im
ganzen zu leugnen, scheint es gleichwohl wichtig, die Alterität der Vormoderne
nicht aus dem Blick zu verlieren, teleologische Perspektivierung des Phänomens zu
vermeiden und sich der Sehnsucht nach ‘Gründungsmythen der Moderne’ zu ver-
weigern. Im Vordergrund stehen demgegenüber vielmehr frühneuzeitliche Logiken,
Implikationen und Strukturen der Konstruktion von Vergangenheit, und zwar die:
‘Existenzbedingungen’ oder die Archäologie frühneuzeitlicher Vergangen-
heitskonstruktionen sowie die ‘Kommunikativen’ und ‘politischen’ Bedin-
gungen oder die ‘Genealogie’ frühneuzeitlicher Vergangenheitsdiskurse und
-konstruktionen.
V. Reichweiten der Verständigung. Nationalisierung und Europäisierung
intellektueller Kommunikation im 20. Jahrhundert
In einem dritten Arbeitsschritt galt es, der Logik unseres Gesamtprojekts folgend, die
gewonnenen methodischen Ergebnisse für die Frage nach aktuellen Diskursen im
Rahmen der EU zu fruchtbar zu machen. Dabei kristallisierte sich heraus, dass sich
die Grundfrage nach einer Genealogie und Dynamisierung kultureller Diskurse im
Raum des Politischen unter den Bedingungen moderner Öffentlichkeit und
Mediengesellschaften über die Kategorien „Kommunikation“ und „Selbstthemati-
sierung“ operationalisieren ließ.
Europa ist einerseits von einer eminenten politischen Realität, die weit in den
Alltag der Bürger reicht. Andererseits ist jedoch höchst unklar, wie man Europäer
kommunikativ adressiert und sich als solcher angesprochen fühlen kann. Gesell-
schaftlich entwickelte und kollektiv akzeptierte Rahmenbedingungen einer europäi-
schen Gesellschaft fehlen weitgehend. Schaut man auf gängige Formen kommuni-
kativer Selbstthematisierungen, die den nationalen Rahmen überschreiten, so scheint
es näher liegend, gleich global und universal zu argumentieren, als einen europäi-
schen Partikularismus zu pflegen. Allenfalls temporär, als Zwischenschritt auf dem
Weg zu einer Globalisierung zivilgesellschaftlicher Hoffnungen und Gegengewicht zur
US-amerikanischer Hegemonie, scheint das Projekt Europa zu rechtfertigen zu sein.
 
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