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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2010 — 2011

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I. Das Geschäftsjahr 2010
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von Bose, Herbert: Jahresfeier am 5. Juni 2010
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Sellin, Volker: Volker Sellin hält den Festvortrag: „Herrscher und Helden“
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https://doi.org/10.11588/diglit.55658#0034
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50 | JAHRESFEIER

Am 1. März 1881 fiel Zar Alexander II. einem Attentat zum Opfer. Sem Sohn
und Nachfolger Alexander III. hegte eine tiefe Abneigung gegen Skobelev. Offen-
sichtlich witterte er in ihm den Rivalen um die Gunst der Massen. In der Armee
nannten sie Skobelev den weißen General, weil er wie ein König in weißer Uniform
auf einem Schimmel in die Schlacht ritt. Alexanders wichtigster Ratgeber, Konstan-
tin Pobedonoscev, ermahnte den Zaren dringend, seine Abneigung zu überwinden
und Skobelev wohlwollend zu empfangen. Der General stelle in der Armee und
beim Volk einen Machtfaktor dar, und seine Dienste könnten dem Zaren bei vielen
Gelegenheiten von Nutzen sein. Alexander empfing den Eroberer von Geok-Tepe
zwar, bot ihm jedoch noch nicht einmal einen Stuhl an und beendete die Audienz
nach zehn Minuten. Daraufhin mahnte Pobedonoscev erneut. Die Zeiten seien kri-
tisch. Es sei nicht auszuschließen, daß das Land sich in zwei Lager spalte, eines für,
eines gegen den Zaren. In einer solchen Lage müsse Alexander sich unter den Besten
der Nation Verbündete suchen. Skobelev verfüge über „großen moralischen Einfluß
auf die Massen“10. Pobedonoscev wollte den Zaren dafür gewinnen, die plebiszitäre
Zustimmung zu Skobelev dadurch zur Stärkung des Regimes zu nutzen, daß er
ihn zu sich heranzog, um an der Popularität des Volkshelden zu partizipieren. Im
Unterschied zu Cavour hatte Pobedonoscev nichts dagegen einzuwenden, daß auf
die Krone des Zaren der Widerschein des Lichtes fiel, das em „heroischer Abenteu-
rer“ um sich verbreitete. Zeitgenossen verglichen Skobelev ganz offen mit dem ita-
lienischen Freischärler. Der Sekretär der französischen Botschaft in Moskau, Vogüe,
warnte vor seinen „dynastischen Prätentionen“ und nannte ihn den „slavischen
Garibaldi“11.
Mit seinem abweisenden Verhalten drängte Alexander III. Skobelev tatsächlich
in die Opposition. Schon lange hatte der populäre General die Furchtsamkeit der
russischen Außenpolitik kritisiert. Nachdem er sich im Russisch-Türkischen Krieg
persönlich ausgezeichnet hatte, konnte er es nicht verwinden, daß die russische
Regierung auf dem Berliner Kongreß dem Verlangen der anderen Mächte nachge-
geben hatte, den Frieden zwischen dem Osmanischen Reich und Rußland von San
Stefano zum Nachteil Rußlands zu revidieren. Skobelev gab Deutschland die
Hauptschuld an dieser diplomatischen Niederlage. Von da an erklärte er mehrmals
öffentlich, em Krieg mit dem Deutschen Reich sei unvermeidlich und der einzige
Weg, um Rußlands wirtschaftliche und politische Krise zu überwinden. Mit einer
Rede vor serbischen Studenten in Paris im Februar 1882 rief er geradezu einen
außenpolitischen Skandal hervor. Er hatte dort behauptet, der Zar sei nicht mehr
Herr im eigenen Haus, sondern stehe unter deutschem Einfluß. Der deutsche
Reichskanzler Bismarck riet zu diplomatischer Zurückhaltung und empfahl ledig-
lich, den General, der sich für einen zweiten Napoleon halte, weil er „mit einigen
tausend Tataren fertig geworden sei“, in der Presse lächerlich zu machen12. Zar

10 Zit. nach: Rogger, Skobelev Phenomenon, S. 59.
11 Zit. nach: Rogger, Skobelev Phenomenon, S. 61.
12 Zit. nach: Herzfeld, Hans, Bismarck und die Skobelewepisode, in: Historische Zeitschrift 142
(1930), S. 284.
 
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