22. Januar 2010
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Neben die Vorstellung, dass die Neue Welt von Schrecken verbreitenden Fabel-
wesen bevölkert sei, trat bereits in frühen Schriften die Auffassung, dass in Amerika
blutrünstige Kannibalen ihr Unwesen trieben. Insofern Kannibalen gemeinhin als
Werkzeuge des Teufels betrachtet wurden, war die Ausrottung der Ureinwohner
Amerikas dann auch leicht als Christenpflicht zu verbrämen. Aus dem reichen Fun-
dus von Illustrationen aus dem 16. Jahrhundert, die europäische Vorstellungen vom
Kannibalismus der Ureinwohner (Süd- wie auch Nord-)Amerikas dokumentieren,
sei hier lediglich em Beispiel angeführt, Johann Froschauers ,,Dise figur anzaigt uns
volck und insel die gefunden ist durch den cristlichen künig zü Portigal [...]“ aus
dem Jahre 1505:12
Noch wirkmächtiger und für die Debatten um die heilsgeschichtliche Veror-
tung Amerikas zentraler waren freilich jene Dokumente, die die Ureinwohner Ame-
rikas mit den in der Offenbarung des Johannes angesprochenen Völkern Gog und
Magog in Verbindung brachten, jenen Völkern bzw. Kräften der Finsternis, die am
Jüngsten Tage vom Antichristen angeführt gegen Christus in die Schlacht ziehen
würden. Diese von zahlreichen Exegeten der apokalyptischen Schriften vorgetragene
Interpretation schien die heilsgeschichtliche Exterritorialität Amerikas zu besiegeln,
und sie konterkarierte natürlich auch zwangsläufig jeden Versuch früher englischer
12 Dise figur anzaigt uns das volck vnd insel die gefunden ist durch den cristenlichen künig zü Portigal oder
von seinen underthonen. Die leüt sind also nackent [...]. Sy essen auch ainander selbs die erschlagen wer-
den und hencken das selbig fisch in den rauch. [...], Augsburg, 1505 [Holzschnitt],
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Neben die Vorstellung, dass die Neue Welt von Schrecken verbreitenden Fabel-
wesen bevölkert sei, trat bereits in frühen Schriften die Auffassung, dass in Amerika
blutrünstige Kannibalen ihr Unwesen trieben. Insofern Kannibalen gemeinhin als
Werkzeuge des Teufels betrachtet wurden, war die Ausrottung der Ureinwohner
Amerikas dann auch leicht als Christenpflicht zu verbrämen. Aus dem reichen Fun-
dus von Illustrationen aus dem 16. Jahrhundert, die europäische Vorstellungen vom
Kannibalismus der Ureinwohner (Süd- wie auch Nord-)Amerikas dokumentieren,
sei hier lediglich em Beispiel angeführt, Johann Froschauers ,,Dise figur anzaigt uns
volck und insel die gefunden ist durch den cristlichen künig zü Portigal [...]“ aus
dem Jahre 1505:12
Noch wirkmächtiger und für die Debatten um die heilsgeschichtliche Veror-
tung Amerikas zentraler waren freilich jene Dokumente, die die Ureinwohner Ame-
rikas mit den in der Offenbarung des Johannes angesprochenen Völkern Gog und
Magog in Verbindung brachten, jenen Völkern bzw. Kräften der Finsternis, die am
Jüngsten Tage vom Antichristen angeführt gegen Christus in die Schlacht ziehen
würden. Diese von zahlreichen Exegeten der apokalyptischen Schriften vorgetragene
Interpretation schien die heilsgeschichtliche Exterritorialität Amerikas zu besiegeln,
und sie konterkarierte natürlich auch zwangsläufig jeden Versuch früher englischer
12 Dise figur anzaigt uns das volck vnd insel die gefunden ist durch den cristenlichen künig zü Portigal oder
von seinen underthonen. Die leüt sind also nackent [...]. Sy essen auch ainander selbs die erschlagen wer-
den und hencken das selbig fisch in den rauch. [...], Augsburg, 1505 [Holzschnitt],