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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2010 — 2011

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I. Das Geschäftsjahr 2010
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Sitzung der Phil.-hist. Klasse am 22. Januar 2010
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Engler, Bernd: Amerikanische Identitätspolitik im 17. und 18. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.55658#0050
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66

SITZUNGEN

Propagandisten der Besiedlung der Neuen Welt, die überseeischen Plantagen den
Auswanderungswilligen als zweiten Garten Eden zu präsentieren.13
Doch wenden wir uns nach diesem Exkurs den kolomalzeitlichen Debatten
über den heilsgeschichtlichen Ort Amerikas und insbesondere Neuenglands zu.
4. Heilsgeschichtliche Exterritorialität
und die britische Identitätspolitik Joseph Medes
Die in Heinrich Büntings Holzschnitt „Die gantze Welt in em Kleberblat“ indizier-
te räumlich-geographische Ferne Amerikas von Jerusalem als dem ursprünglichen
und auch künftigen Zentrum des Heils dürfte zum Entstehungszeitpunkt der Dar-
stellung wohl nicht als Akt einer bewussten eschatologischen Exklusion Amerikas
verstanden worden sein. Im biblischen Ordnungssystem war — wie wir gesehen
haben — kein Platz für die Neue Welt, die somit notgedrungen an den Rand der Welt
rücken musste. Mit dieser Platzierung hatten zudem all jene kein Problem, die die
Einwohner Amerikas den zeitgenössischen Gepflogenheiten entsprechend mit mon-
strösen Fabelwesen, Kannibalen oder Mitgliedern der Reiche Gogs und Magogs
gleichsetzten. Spätestens in der Phase der politisch forcierten Besiedlung des ameri-
kanischen Kontinents führte die heilsgeschichtliche Exterritorialität allerdings zu
beträchtlichen Vermittlungsproblemen. Dass im 17. und frühen 18. Jahrhundert die
Frage nach dem heilsgeschichtlichen Ort Amerikas Gegenstand heftiger Debatten in
religiösen und insbesondere millennialistischen Traktaten wurde, darf keineswegs
verwundern. Und es darf auch nicht verwundern, dass die europäischen Siedler der
zweiten und dritten Generation — allen voran die um die Existenz im Jenseits stets
tief besorgten Puritaner Neuenglands — nur schwer mit der Vorstellung leben konn-
ten, im Falle ihres Ablebens in der Neuen Welt wegen deren Exterritorialität mit von
vielen Theologen attestierter Gewissheit der ewigen Verdammnis anheimzufallen.
Der wohl bekannteste und aus der Sicht der neuenglischen Puritaner sicher-
lich aggressivste Verfechter einer anti-amerikanischen Geschichtsdeutung war Joseph
Mede. Er war ein renommierter britischer Theologe, Fellow am Christ’s College,
Cambridge, und Autor einer weite Verbreitung findenden Apokalypse-Exegese, des
im Jahre 1627 erstpublizierten Clavis Apocalyptica. Diese Schrift ist ganz der Tradition
der unzähligen Ausdeutungen der apokalyptischen Schriften verpflichtet, die im 16.
und 17. Jahrhundert en vogne waren und mit komplexen Berechnungen des Datums
des Jüngsten Gerichts aufwarteten. Die frühen lateinischen Ausgaben und selbst die

13 Vgl. etwa die biblische Verfuhrungsszene, in der der Neue (amerikanische) Adam in Crispijn van
de Passes „America“ durchaus in einem zweiten Paradies von seiner Neuen Eva statt mit einem
Apfel gleich mit mehreren Köpfen von Menschen verfuhrt wird. Dieses zweite Paradies ist frei-
lich eine längst ‘gefallene Weit’, auch wenn die Emblematik eines friedlichen Miteinanders von
Mensch und Raubtieren paradiesische Vorstellungen nach Isaiah, 11 evozieren mag. Vgl. Crispijn
van de Passe the Eider, „America“ (frühes 17. Jahrhundert); abgedruckt in: The New Golden Land:
European Images of America front the Discoveries to the Present Time, hg. Hugh Honour, New York,
1975,88.
 
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