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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2010 — 2011

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I. Das Geschäftsjahr 2010
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Heidelberger Akademie-Vorlesung
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Kasper, Walter: Das Christentum im Dialog der Religionen
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https://doi.org/10.11588/diglit.55658#0173
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23. November 2010 | 189

Vorschriften (Cicero). Andere verstehen religio ausgehend von religare im Sinn von
zurückbinden und verstehen unter Religion die persönliche Rückbindung an Gott
bzw. an die Gottheit (Lactanz, Augustinus). Doch das letztere stellt keineswegs das
allgemein vorauszusetzende Religionsverständnis dar; es gilt etwa nicht für den
Buddhismus, der keinen persönlichen und auch keinen transzendenten Gott kennt.
Etymologisch schwierig wird die Frage vor allem, wenn man nach einem Äquiva-
lent für religio in anderen Sprachen sucht. Im Griechischen stehen dafür verschie-
dene Wörter zur Verfügung, etwa EUGEßsia, das ehrfürchtige Verhalten gegenüber
den religiösen Ordnungen, auf denen das familiäre, staatliche und zwischenstaatliche
Leben ruht,8 man kann aber auch an TIJIT], XctTQEia, OQ£0KEtCt u.a. denken.Vollends
schwierig wird es verständlicherweise, wenn man nichteuropäische Sprachen in die
Diskussion einbezieht.
Ist schon die etymologische Ableitung schwierig, so ist es erst recht die inhalt-
liche Bestimmung.9 Den Allgemeinbegriff Religion gibt es erst seit dem 17./18.
Jahrhundert als em Produkt der Aufklärung. Der Begriff Religion stellt ein künst-
liches Konstrukt dar, welches das gemeinsame substantiale Wesen der Religionen
erheben will, deren Unterschiede aber als historisch, sozial und kulturell kontingen-
tes Beiwerk ausklammert, oder durch mangelndes Wissen, Missverständnis und
Missbrauch erklärt. Das ist eine typisch aufgeklärte Einstellung, die ernsthaft religiös
praktizierende Menschen leicht als Missverständnis, ja sogar als Beleidigung ver-
stehen können; denn sie sehen sich damit in ihrer religiösen Praxis nicht ernst
genommen.
So kann es nicht überraschen, dass James H. Leuba 48 Definitionen von
Religion zusammenstellen konnte,1" aufgrund der beschriebenen Ausweitung des
Religionsbegriffs sind inzwischen weitere hinzu gekommen. Eine Einigung ist nicht
in Sicht. Wegen dieser Nichtdefinierbarkeit hat man sich schon für einen Verzicht auf
den Begriff Religion ausgesprochen. Doch ohne einen Allgemeinbegriff von Reli-
gion könnte man auch nicht mehr von Religionen sprechen. Man wird den Allge-
meinbegriff Religion also im Sinn einer sprachlichen Konvention verstehen müssen,
deren Inhalt aber immer wieder empirisch geklärt werden muss.
Was also ist Religion?
Im Allgemeinen wird die Religion heute nicht mehr religionskritisch auf anthro-
pologische, soziologische, psychologische u.a. Faktoren reduziert (L. Feuerbach,
K. Marx F. Nietzsche, S. Freud u.a.); man beschreibt sie meist als ein nicht reduzier-
bares, ursprüngliches und eigenständiges Phänomen (F. Schleiermacher, M. Scheier,
R. Otto, M. Eliade u.a.), das oft als Erfahrung des Heiligen und Ehrfurcht vor dem
Heiligen, das bei Rudolf Otto als mysterium tremendum fascinosum beschrieben wird.11

8 VgL W Foerster, Art. EWßßEta, imThWNT VII (1964) 175-178
Zum Religionsbegriff K. Lehmann, Rückkehr der Religion?, in: Weltreligionen, 1-22.
J. H. Leuba, A Psychological Study of Religion, London 1912, Appendix.
11 R. Otto, Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum
Rationalen (1936), München 1963.
 
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