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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2015 — 2016

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A. Das akademische Jahr 2015
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II. Wissenschaftliche Vorträge
DOI article:
Maul, Stefan M.: Politikberatung im Alten Orient oder Von Sinn und Unsinn der Prognostik
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55653#0044
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II. Wissenschaftliche Vorträge

langjähriger Ausbildung verlangte, wird diesen Eindruck ebenso verstärkt haben,
wie der mit der Zukunftsschau verbundene enorme Aufwand und nicht zuletzt
auch das Gewicht der nicht grundsätzlich hinterfragten eigenen Tradition. Man
war überzeugt, ein Mittel in der Hand zu halten, das in hohem Maße Stabilität
und Prosperität garantierte, zumindest aber Schutz vor fatalen Fehlentscheidun-
gen lieferte und damit der eigenen Kultur anderen gegenüber einen erheblichen
und nachhaltigen Vorteil verschaffte.
Es ist nur folgerichtig, dass die assyrischen und babylonischen Könige großen
Wert darauf legten, Wissen und Techniken der Zukunftsschau für sich zu mono-
polisieren und die besten Fachleute an sich zu binden. Selbst im internationalen
Wettstreit wurde die Kenntnis der Fachliteratur der Zukunftsschauer als so hoch
eingestuft, dass im Kriegsgeschehen Tontafeln entsprechenden Inhalts gar auf aus-
drücklichen königlichen Befehl hin geraubt wurden. Das Wissen, das über viele
Jahrhunderte in den Familien der Zeichendeuterdynastien erworben, weiterent-
wickelt und überliefert worden war, wurde im ausgehenden zweiten und frühen
ersten Jahrtausend v. Chr. an den Königshöfen Babyloniens und Assyriens gesam-
melt, systematisiert und in sehr umfangreichen Textausgaben zusammengestellt.
Der Motor hierfür dürfte der mit der Komplexität mesopotamischer Herrschafts-
strukturen immer weiter gestiegene königliche Bedarf an prognostischer Beratung
gewesen sein. Die neu entstandenen Editionen bildeten von nun an den königlich
autorisierten und verbindlichen Thesaurus streng geheim gehaltenen Fachwissens,
auf den sich die Experten im Dienste des Königs zu berufen hatten. Das divinatori-
sche Fachwissen war auf diese Weise fast ganz in königliche Oberhoheit gelangt.
Die Zeichendeuter, die für König und Staat tätig waren, galten als wichtige
Geheimnisträger und hatten zu beeiden, dass sie die möglicherweise politisch bri-
sante Kenntnis, die sie durch ihre Tätigkeit erwarben, unter keinen Umständen an
Dritte Weitergaben.
Dennoch war den Politikern des Alten Orients vollkommen bewusst, dass
die für sie arbeitenden Zeichendeuter jederzeit der menschlichen Versuchung er-
liegen könnten, das Ergebnis der in Auftrag gegebenen Recherche zu verfälschen,
sei es nun aus unmittelbarem eigenem Interesse oder weil Dritte dafür Geld oder
Einfluss boten. Eingeweideschauen wurden aus diesem Grund nie von einem
Fachmann allein vorgenommen, sondern immer von einem team, das in wichtigen
Angelegenheiten aus mehr als zwölf, einander keineswegs immer gewogenen Per-
sonen bestand, denen es so eine Freude war, einander wechselseitig auf die Finger
zu schauen. Auch pflegte man mit der Prüfung eines Plans oder eines Vorhabens
zu gleicher Zeit mehrere Eingeweideschauerteams zu betrauen, die so weit von-
einander entfernt zu arbeiten hatten, dass heimliche Absprachen ausgeschlossen
waren. Erst wenn alle Experten einhellig zu dem gleichen Resultat gelangt und
dieses durch Kontrolleingeweideschauen bestätigt worden war, wollte man das Er-
gebnis als bindend betrachten.

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