II. Wissenschaftliche Vorträge
Abb. 4: Image ID: 10596; Title: Man and woman Split-
ting reeds at a mat-making shop; Topic: Beijing; Date: ca.
1933- 1946; Support: menworkshops (work spaces) reedwo-
menworkers; Private Repository: Harvard-Yenching Library
In fotografischen Corpora
zum Beispiel, sind fast überhaupt
keine Paare und kein einziges der
amoureusen Art zu finden.4 Ein
Foto (Abb. 4), das sich irgendwo
zwischen 1930 und 1940 datieren
lässt, ist ein typisches Beispiel für
eine sehr andere Story, die in den
fotografischen Quellen der glei-
chen Zeit sich finden lässt: dieses
Paar arbeitet hier zwar gleichbe-
rechtigt draußen, in der Öffent-
lichkeit, aber dieser Faktor spielt
keine große Rolle, denn es gibt gar
keine Interaktion zwischen den
beiden, keinen Augenkontakt, kein
Aufeinanderzugehen, schon gar
keine Berührung, und das Bild öff-
net sich genausowenig zu seinem
Publikum. Dieses Foto, eine der
spätestesten visuellen Quellen, die
wir bisher gesehen haben, scheint zu leugnen, dass die Dinge sich verändert haben
könnten (nicht nur in den Geschlechterbeziehungen) in China.
Zwar lässt sich die Beobachtung auch anderweitig bestätigen, dass Fotos ten-
denziell „konservativer“ sind, als Karikatur oder Werbung: wenn man sich die Fo-
tografien auf den Seiten des Satiremagazin Shanghai manhua anschaut, sieht man
zurückhaltende (Ehe-)Paare, keusch nebeneinander stehend, mit leerem Ausdruck
in’s Weite schauend, nicht aber zärtlich oder verführerisch in die Augen des Lesers
oder gar des anderen Partners. Obwohl diese Fotografien direkt neben ganz anderen
Darstellungen von Paaren in Karikatur oder Werbematerial platziert sein können,
zeigen sie kein glückliches Lächeln, keine Leidenschaft (Abb. 5-7). Offensichtlich
limitiert das Genre bestimmte semantische Grenzen: die dokumentarische Qua-
lität der Fotografie macht es unmöglich das, was offensichtlich immer noch als
„transgressio“ und Verstoß gegen akzeptable Normen erkannt wird - die Arten
intimer Berührung, die bereits zu einem natürlichen Element in Satire, Karikatur
und Werbung geworden sind - in ihrem visuellen Repertoire aufzunehmen.
Ist das nun ein Widerspruch zu der zunächst so offensichtlich erscheinen-
den diachronen Progression in der Darstellung intimer Verhältnisse im China
56
Die Fotografiesammlungen, die konsultiert wurden, finden sich bei http://vcea.ish-lyon.cnrs.
fr/index_en.php.
Abb. 4: Image ID: 10596; Title: Man and woman Split-
ting reeds at a mat-making shop; Topic: Beijing; Date: ca.
1933- 1946; Support: menworkshops (work spaces) reedwo-
menworkers; Private Repository: Harvard-Yenching Library
In fotografischen Corpora
zum Beispiel, sind fast überhaupt
keine Paare und kein einziges der
amoureusen Art zu finden.4 Ein
Foto (Abb. 4), das sich irgendwo
zwischen 1930 und 1940 datieren
lässt, ist ein typisches Beispiel für
eine sehr andere Story, die in den
fotografischen Quellen der glei-
chen Zeit sich finden lässt: dieses
Paar arbeitet hier zwar gleichbe-
rechtigt draußen, in der Öffent-
lichkeit, aber dieser Faktor spielt
keine große Rolle, denn es gibt gar
keine Interaktion zwischen den
beiden, keinen Augenkontakt, kein
Aufeinanderzugehen, schon gar
keine Berührung, und das Bild öff-
net sich genausowenig zu seinem
Publikum. Dieses Foto, eine der
spätestesten visuellen Quellen, die
wir bisher gesehen haben, scheint zu leugnen, dass die Dinge sich verändert haben
könnten (nicht nur in den Geschlechterbeziehungen) in China.
Zwar lässt sich die Beobachtung auch anderweitig bestätigen, dass Fotos ten-
denziell „konservativer“ sind, als Karikatur oder Werbung: wenn man sich die Fo-
tografien auf den Seiten des Satiremagazin Shanghai manhua anschaut, sieht man
zurückhaltende (Ehe-)Paare, keusch nebeneinander stehend, mit leerem Ausdruck
in’s Weite schauend, nicht aber zärtlich oder verführerisch in die Augen des Lesers
oder gar des anderen Partners. Obwohl diese Fotografien direkt neben ganz anderen
Darstellungen von Paaren in Karikatur oder Werbematerial platziert sein können,
zeigen sie kein glückliches Lächeln, keine Leidenschaft (Abb. 5-7). Offensichtlich
limitiert das Genre bestimmte semantische Grenzen: die dokumentarische Qua-
lität der Fotografie macht es unmöglich das, was offensichtlich immer noch als
„transgressio“ und Verstoß gegen akzeptable Normen erkannt wird - die Arten
intimer Berührung, die bereits zu einem natürlichen Element in Satire, Karikatur
und Werbung geworden sind - in ihrem visuellen Repertoire aufzunehmen.
Ist das nun ein Widerspruch zu der zunächst so offensichtlich erscheinen-
den diachronen Progression in der Darstellung intimer Verhältnisse im China
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Die Fotografiesammlungen, die konsultiert wurden, finden sich bei http://vcea.ish-lyon.cnrs.
fr/index_en.php.