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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2015 — 2016

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A. Das akademische Jahr 2015
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II. Wissenschaftliche Vorträge
DOI Artikel:
Mittler, Barbara: Bezaubernde Berührung – Visuelles Gedächtnis in Chinas populären Medien, 1900 – 2000
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https://doi.org/10.11588/diglit.55653#0060
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II. Wissenschaftliche Vorträge

die ein Paar zeigen, das, sehr romantisch, am Ufer eines Flusses oder Sees sitzt,6
werden jeweils begleitet von einem langen Artikel über Sex. Er erklärt, was alles
falsch gehen kann, in der ersten Nacht, wobei klar ist, dass diese erste Nacht na-
türlich die Hochzeitsnacht ist. Solche Artikel schreiben also Sex in der Ehe vor,
Intimität wird so ein legitimierter Part eines entsprechenden „Lebensplans“ für
den „guten Bürger“.
Aber nicht nur durch den Text, der diese Bilder kontextualisiert, sondern auch
in den Bildern selbst werden Zärtlichkeit und Intimität im Rahmen bestimmter,
auch visueller Regelvorgabcn konstruiert. Die Bilder werden „rationalisiert,“ in-
dem man das romantische Paar im Verbund mit Familie und Kindern oder im
Arbeitsumfeld zeigt. Solche Rahmen mögen als logische Reflektion der Ideologie
der frühen Jahre nach Gründung der Volksrepublik China erkannt werden, sind
aber bis heute gängige Praxis.
Abgesehen davon, dass auf diese Art das zärtlich intime Paar und dessen Be-
deutung sich verändert, es problematisiert, moralisiert und damit normativ aufge-
laden wird, so sind außerdem auch die Protagonisten in diesem Spiel ganz andere
als bis in die 1930er Jahre. Das Feld der Möglichkeiten erweitert sich zunehmend,
erscheint weniger hierarchisiert: So entdecke wir häufig das gealterte Paar,7 und
nicht mehr länger nur das Glamour-Paar, sondern auch ganz „normale Leute“.
Das ist ein weiteres „reinigendes“ Moment, das die Darstellung von Intimität
„normalisiert“ und sie damit auch weniger gefährlich und erregend gestaltet. Die
vielen Artikel und Bilder, die die potentiellen Schwierigkeiten, die solche Bezie-
hungen bestimmen, besprechen (und damit auch an die satirischen Darstellungen
des „glücklichen Paars“ aus den 1930er Jahren erinnern), bilden einen weiteren
rationalisierenden „Kühlmechanismus.“


Abb. 12 (ZGFN 1978.5:34.)

Während also einerseits das glückliche Paar
gefeiert wird, sind andererseits eine ganze Rei-
he von Mechanismen der Rationalisierung und
Ideologisierung am Werk, die die Botschaft von
Nähe, Intimität und Zärtlichkeit, entmateriali-
sieren, und diese als reine Genusserfahrungen
deligitimieren, indem sie „gereinigt“ und „didak-
tisiert“ vorgeführt werden. Bis in die 1990er Jahre
hinein ist, außer in den Franchise magazines, foto-
grafische Evidenz von zärtlich engagierten Paaren
noch rar: das Paar erscheint als Strichzeichnung,

6 Vgl. etwa NJNBST 1996.11:66, NJNBST 1996.12:62, diese beiden Fotos sind von hinten
fotografiert: sicher nicht von ungefähr wird diese Technik der Distanzierung hier genutzt und
eingeführt; NJNBST 1996.12:62; ZGFN 1998.1:17.
7 ZGFN 1998.2:18; see also ZGFN 1956.12:16.

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