II. Wissenschaftliche Vorträge
vom Stein“ eigene Forschungsinteressen verfolgte. Wie viel wir von der späteren
Liberalität des Lehrers Graf Kielmansegg dieser Erfahrung der Unfreiheit verdan-
ken, bleibt freilich sein Geheimnis. Obwohl Graf Kielmansegg von dem Thema
zunächst nicht begeistert war, legte er sich ins Zeug und lieferte auf der Grund-
lage der wesentlichen Archivquellen eine souverän konzipierte und geschriebene
Dissertation.2 Die Historikerzunft hat denn auch von ihr respektvoll Kenntnis ge-
nommen. In einer kundigen Besprechung des Buches in der „Historischen Zeit-
schrift“ wird neben „dem reichen Einstrom einer zuverlässigen Aktenhistorie“ die
„tatsachenreiche und stets nüchtern-gerechte, sorgfältig abwägende Darstellung“
des Verfassers gelobt.3
Dass der Vater kaum ein Jahr nach der Veröffentlichung der Dissertation des
Sohnes, nämlich am 10. Februar 1965, den Freiherr-vom-Stein-Preis erhalten
hat, ist wohl nur ein schöner Zufall.4 Denn Johann Adolf Graf von Kielmansegg
wurde mit den Offizieren Graf Baudissin und Ulrich de Maiziere für die Ent-
wicklung des demokratischen Konzepts „Innere Führung“ gewürdigt, das den
„Staatsbürger in Uniform“ zum Leitbild der Bundeswehr machte. Darin kann
man einen Dienst des Vaters für die Demokratie in Deutschland erblicken, den
ihr der Sohn später als Wissenschaftler und Intellektueller mit seinen Mitteln so
beharrlich eiwiesen hat.
Obgleich bereits die Dissertation typisch Kielmansegg‘sche Züge trägt,
kommen seine analytischen Stärken und nicht zuletzt sein langer Atem erst in
der großen Monographie über „Deutschland und der Erste Weltkrieg“ zum Zu-
ge. Herfried Münkler, der selbst Autor eines vielbeachteten Werkes über den
Ersten Weltkrieg ist, hat in seinem Vortrag die Studie Graf Kielmanseggs be-
reits gewürdigt. Meine Freude darüber ist umso größer als sie seinerzeit hier-
zulande nicht die ihr gebührende Beachtung gefunden hat. Dies dürfte nicht
nur daran liegen, dass die Studie im ereignisreichen Jahr 1968 erschienen ist, in
dem die Menschen andere Sorgen und Hoffnungen hatten, sondern auch damit
Zusammenhängen, dass Graf Kielmansegg am Ende der ersten großen historio-
graphischen Debatte der Bundesrepublik über die Kriegsschuldfrage eine allzu
nüchterne und differenzierte Zwischenbilanz zog. Schon im Vorwort teilt der
Autor mit, er wolle mit seiner Gesamtdarstellung den Leser nicht bloß informie-
ren, sondern ihm das selbständige Nachdenken ermöglichen und sein Problem-
bewusstsein schärfen. Wenn ich recht sehe, kann man von einer pädagogischen
2 Graf Kielmansegg, Peter, 1964: Stein und die Zentralverwaltung 1813/14, Stuttgart, Kohl-
hammer.
3 Raumer, Kurt von, 1968: Rezension, Peter Graf Kielmansegg. Stein und die Zentralverwal-
tung, in: Historische Zeitschrift, Band 206, Heft 2, S. 419-423, hier S. 422.
4 Feldmeyer/Meyer, Georg, 2007: Johann Adolf Graf von Kielmansegg 1906-2006. Deutscher
Patriot, Europäer, Atlantiker, Hamburg, Mittler, S. 228.
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vom Stein“ eigene Forschungsinteressen verfolgte. Wie viel wir von der späteren
Liberalität des Lehrers Graf Kielmansegg dieser Erfahrung der Unfreiheit verdan-
ken, bleibt freilich sein Geheimnis. Obwohl Graf Kielmansegg von dem Thema
zunächst nicht begeistert war, legte er sich ins Zeug und lieferte auf der Grund-
lage der wesentlichen Archivquellen eine souverän konzipierte und geschriebene
Dissertation.2 Die Historikerzunft hat denn auch von ihr respektvoll Kenntnis ge-
nommen. In einer kundigen Besprechung des Buches in der „Historischen Zeit-
schrift“ wird neben „dem reichen Einstrom einer zuverlässigen Aktenhistorie“ die
„tatsachenreiche und stets nüchtern-gerechte, sorgfältig abwägende Darstellung“
des Verfassers gelobt.3
Dass der Vater kaum ein Jahr nach der Veröffentlichung der Dissertation des
Sohnes, nämlich am 10. Februar 1965, den Freiherr-vom-Stein-Preis erhalten
hat, ist wohl nur ein schöner Zufall.4 Denn Johann Adolf Graf von Kielmansegg
wurde mit den Offizieren Graf Baudissin und Ulrich de Maiziere für die Ent-
wicklung des demokratischen Konzepts „Innere Führung“ gewürdigt, das den
„Staatsbürger in Uniform“ zum Leitbild der Bundeswehr machte. Darin kann
man einen Dienst des Vaters für die Demokratie in Deutschland erblicken, den
ihr der Sohn später als Wissenschaftler und Intellektueller mit seinen Mitteln so
beharrlich eiwiesen hat.
Obgleich bereits die Dissertation typisch Kielmansegg‘sche Züge trägt,
kommen seine analytischen Stärken und nicht zuletzt sein langer Atem erst in
der großen Monographie über „Deutschland und der Erste Weltkrieg“ zum Zu-
ge. Herfried Münkler, der selbst Autor eines vielbeachteten Werkes über den
Ersten Weltkrieg ist, hat in seinem Vortrag die Studie Graf Kielmanseggs be-
reits gewürdigt. Meine Freude darüber ist umso größer als sie seinerzeit hier-
zulande nicht die ihr gebührende Beachtung gefunden hat. Dies dürfte nicht
nur daran liegen, dass die Studie im ereignisreichen Jahr 1968 erschienen ist, in
dem die Menschen andere Sorgen und Hoffnungen hatten, sondern auch damit
Zusammenhängen, dass Graf Kielmansegg am Ende der ersten großen historio-
graphischen Debatte der Bundesrepublik über die Kriegsschuldfrage eine allzu
nüchterne und differenzierte Zwischenbilanz zog. Schon im Vorwort teilt der
Autor mit, er wolle mit seiner Gesamtdarstellung den Leser nicht bloß informie-
ren, sondern ihm das selbständige Nachdenken ermöglichen und sein Problem-
bewusstsein schärfen. Wenn ich recht sehe, kann man von einer pädagogischen
2 Graf Kielmansegg, Peter, 1964: Stein und die Zentralverwaltung 1813/14, Stuttgart, Kohl-
hammer.
3 Raumer, Kurt von, 1968: Rezension, Peter Graf Kielmansegg. Stein und die Zentralverwal-
tung, in: Historische Zeitschrift, Band 206, Heft 2, S. 419-423, hier S. 422.
4 Feldmeyer/Meyer, Georg, 2007: Johann Adolf Graf von Kielmansegg 1906-2006. Deutscher
Patriot, Europäer, Atlantiker, Hamburg, Mittler, S. 228.
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