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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0490
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7. Die Vita Gosuini prima
Ein weiterer wichtiger Text aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts ist die Vita
Gosuini prima. Die bisherige Forschung hat diesen schwer zugänglichen Text in
erster Linie dazu benutzt, um das Leben Gossuins nachvollziehen zu können und
die Rolle Anchins als »Reformzentrum« aufzuzeigen.1952 Vor dem Hintergrund,
dass dieses Werk versucht, das Bild eines idealen und heiligen Mannes zu zeichnen,
darf die Vita Gosuiniprima jedoch vor allem als ein bedeutendes Zeugnis der Vor-
stellungen und Ideale der Gemeinschaft von Anchin in den 1170er Jahren gelten. Im
Folgenden soll besonders auf die in dieser Zeit vorherrschenden Vorstellungen von
correctio, aber auch auf das Idealbild eines Mönchs und Abts eingegangen werden.
Dem Widmungsbrief der älteren Vita prima kann man entnehmen, dass der Text
ungefähr sieben Jahre nach dem Tod Gossuins und somit um das Jahr 1173 ent-
standen sein dürfte.1953 Während ihre Autorschaft lange Zeit Gossuins Nachfolger
Abt Alexander zugesprochen wurde, geht man inzwischen davon aus, dass es sich
beim Verfasser nicht um den besagten Abt handelt, sondern um einen homony-
men Mönch aus Anchin.1954 Die um einiges kürzere Vita secunda wurde von einem
unbekannten Verfasser geschrieben und dem Prior von Saint-Georges in Hesdin
gewidmet. Dieses Werk dürfte zwischen 1174 und 1184 entstanden sein.1955
Die Vita prima handelt das Leben Gossuins in zwei Büchern ab. Während das
erste Buch über Gossuins Jugend, seinen Eintritt ins Kloster und seine Aufgaben als
Mönch berichtet, widmet sich das zweite Buch ganz seinem langjährigen Abbatiat,
geht auf seine Tugenden und Führungsqualitäten ein, berichtet über Wunder und
endet schließlich mit dem Tod des Abtes.

1952 Das lediglich partielle Interesse an dieser Vita zeigt sich an der getroffenen Auswahl von Passagen, die
in erster Linie den Fokus auf den Werdegang Gossuins legen; siehe dazu oben Anm. 1880.
1953 R. Gibbon, Vita prima, I, S. 4: »Sed iam sub hac expectatione transacto septennio, cum nullus ad id
accingatur.«
1954 J. P. Gerzaguet, L’abbaye d’Anchin, S. 89-90 verweist auf eine Passage in der durch Jean Molan durch-
geführten Edition des Usuard- Martyrologs, wo es zum Todestag Gossuins heißt: »Gosvini abbatis
historiam habet Aquicintum per Alexandrum successorem.« Dies sei aber bereits von Francois de Bar
(Douai, BM, ms. 826, S. 10: »Quod monachus Alexandri non ipse Alexander scripserit vitam Gozuini«)
anhand inhaltlicher Kriterien als Verwechslung entlarvt worden; M. Breitenstein, De novitiis instru-
endis, S. 39 verweist ebenfalls auf die Version de Bars, der im Autor der Vita prima einen Verwandten
Abt Gossuins sah.
1955 Grund zu dieser Annahme gibt die Tatsache, dass das Werk einem Prior W. gewidmet war. Nach
J. P. Gerzaguet, L’abbaye d’Anchin, S. 90 kann es sich bei W. eigentlich nur um den Prior Werricus
handeln, der wohl bis 1184 im Amt war (ebd., Anm. 82).
 
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