Metadaten

Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0068
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
3.2 Bernhard von Clairvaux: III Sententiae 58

67

Die Übereinstimmung mit dem Inhalt der oben vorgestellten Predigt ist auf den
ersten Blick zunächst augenfällig. Die Aussage der 58. Sentenz entspricht in fast
allen Punkten dem, was im Sermo de quadruplici conscientia zum Zusammen-
hang von Gewissensqualität und Heilsnähe in analoger Weise behauptet wurde.
Auch hier, in dieser knappen Formulierung, begegnet die bekannte Kreuzklassi-
fikation von gut und schlecht sowie ruhig und unruhig. Die vier Arten der con-
scientia werden als Stufen eines Weges der Vervollkommnung oder auch des Ab-
stieges gedeutet. Ein gutes Gewissen sei, wie es in der unmittelbar vorausgehenden
57. Sentenz der dritten Reihe heißt, gleichsam Voraussetzung eines (im monasti-
schen Sinne) guten Lebens.36
Und doch gibt es einen eklatanten Unterschied: Dieser liegt in der Bestim-
mung des schlechten, aber dennoch ruhigen Gewissens, das hier als höchste Stei-
gerungsform von Bosheit denjenigen zugeschrieben wird, die den Weg der Ver-
derbnis bereits gegangen sind. Zur Erinnerung: In der eben besprochenen Predigt
aus der Sammlung De diversis waren an diesem Punkt ausdrücklich Heranwach-
sende, mithin solche benannt, die aufgrund jugendlicher Vermessenheit falsch
gehandelt hätten. Sollten tatsächlich beide Texte von Bernhard stammen, wäre
dies eine zumindest erklärungsbedürftige Divergenz. Doch was für die Predigt
gesagt wurde, gilt in noch stärkerem Maße auch für die Sentenz: Wir wissen
nicht, wann sie niedergeschrieben wurde, wir wissen nicht, wo dies geschah und
auch nicht von wem.
Bei den in insgesamt drei Sammlungen eingeteilten Sentenzen Bernhards
von Clairvaux handelt es sich - dies legen die Überlieferungszusammenhänge
der einzelnen Teile nahe - durchaus um Texte, die in einer recht unmittelbaren
Beziehung zum Clarevallenser stehen.37 Sie sind einzeln, jedoch auch schon in
Gestalt kleinerer Sammlungen überliefert. Die Länge der einzelnen Stücke ist in
hohem Maße verschieden und reicht von Gedankensplittern bis hin zu kürzeren
Traktaten; ihr Inhalt ist ein Kaleidoskop der vita religiosa. Derartige Sammlun-
gen stehen in der Tradition der Apophthegmata des frühen Mönchtums und
dienen, worauf Pierre Hadot hinwies, dem Memorieren jeweils an bestimmte
Lebenssituationen angepasster Formulierungen.38
Ihrem Herausgeber Jean Leclercq zufolge handelt es sich bei den Sententiae
Bernhards wohl vor allem um Aufzeichnungen und Resümees von Mitbrüdern
36 „Scientia propter se: curiositas; ut ostentetur: vanitas; ut frater aedificetur: caritas; ut Deus ame-
tur et vita formetur: sapientia. Haec autem non scripturae vel memoriae tenetur auxilio, sed piae
mentis affectu et conscientia bona.“ Bernhard von Clairvaux, III Sent 57, in: Sämtliche Wer-
ke, Bd. 4, S. 450. Vgl. zum Zusammenhang U. Köpf, Die Leidenschaften der Seele, S. 109.
37 Vgl. hierzu H.-M. Rochais, Enquete.
38 P. Hadot, Philosophie als Lebensform, S. 57.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften