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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0167
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4. Der Traktat De quattuor modis conscientiarum

keit, sondern auch in der Reinheit des Gewissens führen würden.263 Diese puritas
aber, so lässt sich De quattuor modis conscientiarum deuten, findet ihren Ausdruck
in der tranquillitas der conscientia. Gewissensruhe heiligt, wie Ivo von Chartres
(f 1115) oder Gottfried von St. Thierry (f nach 1142) hervorhoben.264 Dies ist
fraglos auch ein Erbe der stoischen Traditionen, aus denen heraus sich derartige
Vorstellungen von conscientia maßgeblich entfalteten,265 die dann vom Christen-
tum aufgegriffen und weiterentwickelt wurden. „Ohne Ruhe“, hatte Augustinus
seinen Gott angerufen, „ist unser Herz, bis es in dir ruht“.266 Und nur aus der Ruhe
seines Herzens vermochte der Mensch ein gutes Gewissen zu gewinnen.267 Eine
solche bona conscientia aber war für Augustinus stets auch pura.268
Dieses Verhältnis nun wurde im Traktat Von den vier Arten der Gewissen auf-
gebrochen. Eine ruhige conscientia muss, so die Einsicht des Textes, nicht not-
wendig gut sein, ebenso wenig wie ein gutes Gewissen stets ruhig sein muss. Das
Bewusstsein eigener Sündhaftigkeit führte jedoch häufig zu jenen Skrupeln, die
der Text mit dem Konzept des zwar objektiv guten, subjektiv jedoch schlechten,
also unruhigen Gewissens zu fassen suchte. Hier Strategien zu entwickeln, die
dem Menschen bei der Beruhigung seiner bona conscientia helfen sollten, war
daher zentrales Anliegen der Abhandlung Von den vier Arten der Gewissen wie
auch zahlreicher anderer mit vergleichbaren Orientierungen.
Texte, wie die hier vorgestellten Traktate, Sentenzen und Predigten, verliehen
dem Umstand überhaupt erst Ausdruck, dass die Unruhe des Gewissens nicht
notwendig ein Indiz für dessen Schlechtigkeit war. Es ist dies ein zentrales Inno-
vationsmoment des Konzeptes der vier Gewissensarten: die in ihm artikulierte
Einsicht nämlich, dass die Empfindungen eines Menschen, seine Emotionalität,
nicht objektivierbar waren, sondern elementare Äußerungen eines Individuums
über sich darstellten - eines Individuums, das seine conscientia zwar an einem
objektiven Maßstab, nämlich bona oder mala, zu messen suchte, hierbei aber
eben stets eigene Kriterien der Wertung anlegte, die dann zur Erfahrung von des-
sen tranquillitas oder turba führten.
Das in diesen Texten entworfene System war aber nicht allein geeignet, Gewis-
sensarten zu unterscheiden, sondern ebenso, den Transzendenzbezug des Men-
263 „Eque tarnen omnes vitae et conscientiae puritate ac sanctimonia caelesti et angelica in terris vita
degunt.“ Otto von Freising, Chronica, lib. VII, cap. 35, S. 370.
264 Vgl. G. Constable, The Reformation, unter Verweis auf einen Brief des Ivo von Chartres
(S. 63 und 136) und Predigten des Gottfried von St. Thierry (S. 271).
265 R. Lindemann, Der Begriff der conscience, S. 9.
266 ..] inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te.“ Augustinus, Confessiones, lib. I, cap.
1(1), S. 1.
267 Vgl. J. Stelzenberger, Conscientia bei Augustinus, S. 56, 155 und passim; Weitere Hinweise
auch bei E. Hirsch, Lutherstudien, Bd. 1, S. 60-2.
268 Vgl. J. Stelzenberger, Conscientia bei Augustinus, S. 154-61.
 
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