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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0184
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5. Edition und Übersetzung

183

welches nicht gegenüber dem eigenen Urteil Bedenken trägt, ist sich selbst in
keiner Weise bewusst. Erkennst du denn nicht, wie man in einer erhabenen Le-
bensweise sowohl das fremde als auch das eigene Urteil fürchtet?
Bisher verborgen sind der Strick und die tiefe Grube (1er 48.43),a oh du Gefäß
der Erwählung, aber diese Erwählung kann nicht jenen allersorgfältigsten, näm-
lich deinen, Augen entgehen. Er hat nämlich hinzugefügt: Aber darin bin ich
nicht gerechtfertigt (I Cor 4.4). Und er hat ergänzt: Der aber mich richtet, ist der
Herr (I Cor 4.4).b Dieses aber ist das dritte Urteil, das Urteil Gottes, das sogar das
besonders gereinigte Gewissen nicht begreift, welches gemäß der Heiligen Schrift
nicht weiß, ob es der Liebe oder des Hasses würdig sei, wenn alles ihm im Kom-
menden aufbewahrt ist (Ecl 9.1-2). Von Furcht vor diesem Urteil in gleicher
Weise erschreckt und erschüttert, seufzte und sagte er: Was ich nämlich tue, ver-
stehe ich nicht (Rm 7.15). Obgleich ich nämlich dem Urteil der Welt entgangen
bin, meinem Urteil, so bleibt dennoch das Urteil Gottes, das mir nicht erlaubt zu
verstehen, was ich tue, weil ich nicht weiß, ob er annimmt, was ich tue. Jener
kennt mich nämlich besser als ich mich selbst, jener, der Herzen und Nieren prüft
(Ps. 7.10; Apc 2.23), der das Verborgene kennt, jener, der mich durch dringt bis
zur Scheidung von Seele und Geist (Hbr 4.12), jener, der einzig alles weiß und die
Gründe aller Dinge kennt.
Oh, du einzigartiges Werkzeug des heiligen Geistes, wenn du nicht verstehst,
was du tust, warum sagst du dann an anderer Stelle: Das Zeugnis unseres Gewis-
sens, das ist unser Ruhm (II Cor 1.12), nennst deinen Ruhm dein Gewissen? Aber
er versteht es zum Teil und zum Teil versteht er es nicht. Er versteht es klar, dass
sowohl sein eigenes als auch das Urteil der anderen übertroffen ist, aber er wird
auf der Seite des Gerichts Gottes zurückgehalten, wo er zweifellos nicht weiß,
was er tut. Er wird nämlich nicht durch jene zwei gerechtfertigt, sondern durch
a Zu Strick und Grube als Symbolen des jüdischen Totenreichs vgl. J. Le Goff, Die Geburt des
Fegefeuers, S. 40.
b Die vorangehenden Passagen, insbesondere auch die Reihenfolge der Bibelzitate analog zu
Bernhard von Clairvaux, ep. 42, VI (22), in: Sämtliche Werke, Bd. 2, S. 474, 476.
80 novit] fehlt in Rom; noscit Mel dort interlinear von Hand2 nachgetragen.
81 quam ... me] quando me Av; quam ego Brü, Ch, Met.
82 renes et corda] corda et renes Deus Av.
83 pertingens] pertingens usque Brü, Ch, Rom.
84 et] ac Rom.
85 et ex parte non intelligit] ex parte non intelligit Av, Fi, Mel; fehlt in Soi.
86 et] fehlt in Met, Rom.
87 et] fehlt in Ch.
88 retinetur] detinetur Mel.
89 iustificabitur] iustificatur Am, Av, Fi, Met, Soi.
 
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