Metadaten

Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0283
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
282

6. Rezeptionen und Wirkungen

Diesem Abschnitt nachgestellt ist eine Bemerkung Rudners, die dem am Gegen-
stand interessierten Leser Hinweise für die weiterführende Lektüre gibt: Wer
mehr über das Gewissen lesen wolle, der möge zu einer Abhandlung des Johan-
nes Nider, dem Trostbuch des verängstigten Gewissens, greifen, in dem viel
Nützliches und Gutes darüber zu finden sei.233
Der von Rudner gegebene Abschnitt über die vier Gewissensarten ist an den
Text der Predigt Bernhards Vom vierfachen Gewissen angelehnt, bietet jedoch
nicht nur eine erkennbar modifizierte Gliederung, sondern durch die Anspielung
auf Psalm 6.7 auch eine in ihrer Deutlichkeit herausragende Verknüpfung des
Grundmotivs mit dem Problemfeld der Reue, die zuvor bereits in einer Predigt
des ,Meffreth‘ begegnete. Da diese Predigtsammlung aus der ersten Hälfte des
15. Jahrhunderts weite Verbreitung erfuhr ist nicht auszuschließen, dass Rudner
den Zusammenhang von dort entlehnt hatte.234 Doch war die Vorstellung einer
Reinigung des Gewissens durch Reuetränen im Hohen Mittelater ebenso be-
kannt wie verbreitet.235
Zugleich benennt Rudner jede der vier Gewissensarten entsprechend ihrer
jeweiligen Träger. Es gibt somit für ihn ein Gewissen der Vollkommenen, eines
der Heranwachsenden, eines der Büßer und eines der hartnäckigen Sünder. Ins-
besondere die letztgenannte Qualifizierung legt nahe, dass auch für Rudner
nicht das schlechte und ruhige Gewissen das allerverkommenste ist, sondern
eben gerade jenes, das sich trotz der in der Unruhe zutage tretenden Einsicht
nicht zum Guten bekehrt.236
Wie bereits angedeutet, hatte Konrad Rudner sein Kollektaneum wohl vor
allem für den persönlichen Gebrauch erstellt und in ihm das zusammengetragen,
was ihm für den eigenen geistlichen Fortschritt wichtig erschien. Eine darüber
hinaus gehende Wirkung seiner Sammlung war möglicherweise beabsichtigt, wie
die Empfehlung von Niders Consolatorium nahelegt, doch ist sie nicht feststell-
bar. Als Zeugnis für den geistigen Horizont eines durchschnittlichen* Religiösen
am Beginn des 16. Jahrhunderts sind Rudners Lesefrüchte jedoch von außerge-
wöhnlichem Wert.

233 N, 158r: De conscientia si placet lege, vide tractatum lohannis Nider archidiaconus predicato-
rum cuius titulus est Consolatorium timorate conscientie, egregius Über est et multa utilia ac
bona continet.
Zum Consolatorium vgl. oben im Kapitel 6.2 a).
234 Vgl. oben S. 271.
235 Vgl. zahlreiche Quellenhinweise bei M. Schumacher, Sündenschmutz, S. 329-31.
236 Vgl. hierzu oben S. 62.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften