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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0285
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284

6. Rezeptionen und Wirkungen

teten Vorwort bekennt er, im Band einstmals (o/zm) gehaltene Predigten veröf-
fentlicht zu haben.244
Die zweite Predigt zum zweiten Samstag der vorösterlichen Fastenzeit eröffnet
mit der Beobachtung, dass die menschliche Seele in dreierlei Weise im Streit liegen
könne: mit Gott, mit dem Nächsten und mit sich selbst. Mit Gott, wenn man des-
sen Gebote übertrete, wobei man sich vor sich selbst damit entschuldige, dass man
nicht in der Lage sei, sie zu halten; mit dem Nächsten, wenn man nicht mit ihm
leben könne; mit sich selbst aber, wenn nicht Friede und Heiterkeit im Gewissen
herrschen würden. Im Folgenden wolle er aber, so Raulin, einzig über den Kon-
flikt des Herzens - also des Gewissens - mit der Seele reden.245 Und das, was er
anschließend zu sagen hat, folgt dem hier im Blick stehenden Motiv: Man müsse
nämlich wissen, heißt es, dass das Gewissen des Menschen vierfach sei: schlecht
und ruhig, schlecht und unruhig, gut und ruhig sowie gut und unruhig.246
Raulins Predigt hebt sich in mehrfacher Hinsicht von den übrigen Rezepti-
onszeugnissen des Gewissensschemas ab. Auffällig im Vergleich mit den bisher
vorgestellten Textzeugen ist bereits das von ihm verwendete Vokubular: So be-
zeichnet er die ,ruhigen‘ Formen der conscientia nicht als tranquilla, sondern
verwendet statt dessen die Attribute pacata oder serena. Zudem variiert er die
Begrifflichkeiten, so dass das, was zu Beginn unter dem Etikett bona sed non
pacata firmierte, später als timorata sed non sedata begegnet.
Auffällig ist aber ebenso der Umfang von Raulins konkreten Ausführungen
zum Gegenstand, der jenen des Traktats Von den vier Arten der Gewissen deut-
lich übertrifft. Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass er auf das Vierer-
schema in erster Linie als ein Grundmuster zurückgreift, innerhalb dessen er
selbst zusätzliche Differenzierungen vornimmt, und von dem ausgehend er wei-
tere Gewissensarten beschreibt, die den vier Grundtypen zugeordnet werden.
Dies alles geschieht aber in solcher Ausführlichkeit, dass Raulin zunächst nur
die ersten zwei Gewissensarten - die malae conscientiae - vorstellen kann, bevor
er anmerkt, dass die ausstehenden morgen behandelt werden sollen: „Relique
244 J. Raulin, Opus Sermonum quadragesimalium, [Vorwort], [S. 1].
245 „Triplicem querelam potest anima habere. Potest enim habere querelam in Deum, in proxi-
mum, et in seipsam. In Deum, cum transgrediatur eius mandata dicendo se non posse servare ea
[...] Secundo querelam habet contra proximum: quando cum eo habitare non potest. [...] Ter-
tiana querelam habet ad seipsam: quando non est pax et serenitas in conscientia sua. [...] Cum
igitur triplex sit querela ut iam diximus: solum hic de querela pectoris scilicet conscientie adver-
sus animam in presenti dicemus.“ J. Raulin, Sermones quadragesimales, Sermo XXXVIII,
CXVv-CXVIr.
246 „Cum igitur triplex sit querela ut iam diximus: solum hic de querela pectoris scilicet conscientie
adversus animam in presenti dicemus. Pro quo sciendum quod quadruplex est conscientia ho-
minis. Quedam mala et pacata, alia mala sed non pacata. Tertia bona et pacata. Quarta bona: sed
non pacata.“ Ebd., cxvir.
 
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