6.2 Bearbeitungen, Zitate und Paraphrasen
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Anders als noch Johann Adam Nieberlein, mit dessen Predigt die von Krauss
mancherlei Ähnlichkeit aufweist, mutet der Österreicher seinem Publikum auch
eine Differenzierung von zwei Formen des nicht schlechten Gewissens zu. Aller-
dings qualifiziert er dessen „nicht ruhige“ Ausprägung dabei nicht als „gut“, son-
dern rückt vielmehr den Aspekt der Unruhe in den Vordergrund. Damit wird, ganz
wie bei Leon de Saint-Laurent, die purgatorische Funktion des guten, aber unru-
higen Gewissens betont - ohne jedoch dessen grundsätzliche Gutheit zu explizieren.
Das falsche Gewissen wiederum, dem Krauss ja die gesamte Predigt widmet,
ist jenes zuletzt genannte schlechte und ruhige Gewissen; in sehr ähnlicher Weise
hatte es bereits Bourdaloue dargestellt, der zu seiner Beschreibung auch schon
das Motiv der „innerlichen Finsternisse“ herangezogen hatte, von woher es mög-
lichwerweise auch Krauss entlehnt hat.
Jeder kenne, so Krauss an seine Hörer und Leser gerichtet, derartige Sünder, die
lachend Verbrechen begingen und nur Spott für die „Mahnungen der Religion“,
für „die Gefahr, den Tod und das ewige Gericht“ übrig hätten.654 Krauss meinte,
hier ein dionysisches Lachen der Verzweiflung diagnostizieren zu können, weil
solche Menschen seiner Ansicht nach „die Sünde ohne Hoffnung einer Besserung“
begehen würden655 - wohl aber, so kann man seine Ausführungen ergänzen, im
Bewusstsein der Falschheit des eigenen Tuns. Würde dieses Bewusstsein fehlen,
könnte nur schwer vom Gewissen als einer Instanz gesprochen werden, die dem
Menschen als Richtschnur - mit Krauss gesprochen: als führender Engel auf dem
Lebenswege - zu dienen vermag. Ein solches Gewissen wäre kein Gewissen - zu-
mindest nicht im Sinne seines Referenztextes über dessen vier Arten.
Krauss betonte, dass das „größte Hülfsmittel eines Sünders“ gegen das falsche
„ein richtiges, gesundes Gewissen“ ist, „welches die Sünde selbst in dem Augen-
blick, als sie begangen wird, verdammt, und als Sünde erkennt“656. Mithin würde
es in der Macht des Menschen liegen, sein schlechtes und ruhiges Gewissen selbst
zu beunruhigen, und diesem damit die Heilsbefähigung zurückzugeben. Deut-
lich wird an dieser Stelle, dass das, was der Prediger als „falsches Gewissen“ ein-
geführt hatte, im Grunde kein Gewissen war, sondern vielmehr eine durch Emo-
tionen, Triebe oder auch den Verstand ausgelöste moralische Verirrung, die
korrigiert werden konnte und musste.
654 Ebd.
655 Ebd., no 3.3, S. 18. Helmut Plessner wies - im Gegensatz zu Krauss - darauf hin: „wer die
Kraft aufbringt [...] zu lachen, hat sich noch nicht verlorengegeben, denn er realisiert noch den
Abstand zu seiner Lage.“ H. Plessner, Lachen und Weinen, S. 148.
656 J. N. Krauss, Sonntags-Predigten (1826), n° 3.3, S. 18.
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Anders als noch Johann Adam Nieberlein, mit dessen Predigt die von Krauss
mancherlei Ähnlichkeit aufweist, mutet der Österreicher seinem Publikum auch
eine Differenzierung von zwei Formen des nicht schlechten Gewissens zu. Aller-
dings qualifiziert er dessen „nicht ruhige“ Ausprägung dabei nicht als „gut“, son-
dern rückt vielmehr den Aspekt der Unruhe in den Vordergrund. Damit wird, ganz
wie bei Leon de Saint-Laurent, die purgatorische Funktion des guten, aber unru-
higen Gewissens betont - ohne jedoch dessen grundsätzliche Gutheit zu explizieren.
Das falsche Gewissen wiederum, dem Krauss ja die gesamte Predigt widmet,
ist jenes zuletzt genannte schlechte und ruhige Gewissen; in sehr ähnlicher Weise
hatte es bereits Bourdaloue dargestellt, der zu seiner Beschreibung auch schon
das Motiv der „innerlichen Finsternisse“ herangezogen hatte, von woher es mög-
lichwerweise auch Krauss entlehnt hat.
Jeder kenne, so Krauss an seine Hörer und Leser gerichtet, derartige Sünder, die
lachend Verbrechen begingen und nur Spott für die „Mahnungen der Religion“,
für „die Gefahr, den Tod und das ewige Gericht“ übrig hätten.654 Krauss meinte,
hier ein dionysisches Lachen der Verzweiflung diagnostizieren zu können, weil
solche Menschen seiner Ansicht nach „die Sünde ohne Hoffnung einer Besserung“
begehen würden655 - wohl aber, so kann man seine Ausführungen ergänzen, im
Bewusstsein der Falschheit des eigenen Tuns. Würde dieses Bewusstsein fehlen,
könnte nur schwer vom Gewissen als einer Instanz gesprochen werden, die dem
Menschen als Richtschnur - mit Krauss gesprochen: als führender Engel auf dem
Lebenswege - zu dienen vermag. Ein solches Gewissen wäre kein Gewissen - zu-
mindest nicht im Sinne seines Referenztextes über dessen vier Arten.
Krauss betonte, dass das „größte Hülfsmittel eines Sünders“ gegen das falsche
„ein richtiges, gesundes Gewissen“ ist, „welches die Sünde selbst in dem Augen-
blick, als sie begangen wird, verdammt, und als Sünde erkennt“656. Mithin würde
es in der Macht des Menschen liegen, sein schlechtes und ruhiges Gewissen selbst
zu beunruhigen, und diesem damit die Heilsbefähigung zurückzugeben. Deut-
lich wird an dieser Stelle, dass das, was der Prediger als „falsches Gewissen“ ein-
geführt hatte, im Grunde kein Gewissen war, sondern vielmehr eine durch Emo-
tionen, Triebe oder auch den Verstand ausgelöste moralische Verirrung, die
korrigiert werden konnte und musste.
654 Ebd.
655 Ebd., no 3.3, S. 18. Helmut Plessner wies - im Gegensatz zu Krauss - darauf hin: „wer die
Kraft aufbringt [...] zu lachen, hat sich noch nicht verlorengegeben, denn er realisiert noch den
Abstand zu seiner Lage.“ H. Plessner, Lachen und Weinen, S. 148.
656 J. N. Krauss, Sonntags-Predigten (1826), n° 3.3, S. 18.