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Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Editor]; Melville, Gert [Editor]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0022
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18 I Mirko Breitenstein

Zahlreich sind die musterhaften Selbstanklagen in der geistlichen Literatur:
Kein Laster, kein Vergehen, keine Sünde gebe es, die Religiöse bei gewissen-
hafter Selbstprüfung nicht in sich finden würden.14 Gerade weil man einer Elite
angehörte,15 der eine höhere Heilschance deswegen zugesprochen wurde, weil
sie sich das Geratene als Gebotenes gewählt hatte, musste beständig das Droh-
bild des Scheiterns vor Augen stehen. Für Martin Luther (f 1546) war das
schlechte Gewissen eine böse Bestie, die den Menschen gegen sich selbst antre-
ten ließ.16 Auch wenn Luther schon lange kein Mönch mehr war, als er dies for-
mulierte, ist das seiner Einsicht zugrundeliegende Empfinden doch insgesamt
typisch für die Observanten des 15. und 16. Jahrhunderts.17
Zweite Voraussetzung: Die Metaphorisierung und
Psychologisierung der Hölle
Das Bemühen, die Hölle als definitiven Strafort herauszustellen, durchzieht die
Geschichte des Christentums von seinen Anfängen bis ins 18. Jahrhundert. Die
Hölle sollte nicht nur grausamer sein als alles, was die menschliche Phantasie
überhaupt nur erdenken konnte; sie sollte auch ewig bestehen und damit den
Jüngsten Tag mit seinem verheißenen Weltgericht überdauern. Gäbe es keine
Hölle, so betonte bereits der Märtyrer Justinus (f 165), dann gäbe es auch Gott
nicht, oder - eine kaum weniger dramatische Vorstellung - er würde sich nicht
allgemein Ute Mennecke-Haustein, Luthers Trostbriefe (Quellen und Forschungen zur
Reformationsgeschichte 56), Gütersloh 1989, S. 139.
14 Nullum enim invenio vitium, a quo non traxerim aliquod contagium. Turbavit me ira, lace-
ravit me invidia, inflavit superbia. Inde contraxi mentis inconstantiam, oris scurrilitatem,
opprobria proximorum, scelera detractionum, linguae effrenationem. Seniorum meorum im-
peria non servavi, sed judicavi: de meis negligentiis objurgatus, aut rebellis fui, aut murmura-
vi; praeferri me melioribus impudenter affectavi [...]., Tractatus de mteriori domo seu de
conscientia aedificanda, in: PL 184, Sp. 507-552, cap. XX.37, Sp. 527.
15 Zum Selbstverständnis des Mönchtums als Elite innerhalb der Christianitas vgl. Christoph
Burger, Leben als Mönch und Leben in der ,Weltc - monastischer Anspruch und reformato-
rischer Widerspruch, in: Athina LEXUTT/Volker MANTEY/Volkmar Ortmann (Hgg.): Re-
formation und Mönchtum. Aspekte eines Verhältnisses über Luther hinaus (SHR 43), Tübin-
gen 2008, S. 7-27.
16 Conscientia est mala bestia, quae facit hominen Stare contra se ipsum., Martin Luther, Gene-
sisvorlesung (1535-45), in: WA 44, S. 545.16f.
17 Berndt Hamm, Theologie und Frömmigkeit im ausgehenden Mittelalter, in: Ders., Religio-
sität im späten Mittelalter. Spannungspole, Neuaufbrüche, Normierungen, hg. von Reinhold
FRIEDRICH/Wolfgang Simon (SHR 54), Tübingen 2011, S. 244-298, hier S. 258 [zuerst in:
Gerhard MÜLLER/Horst WEIGELT/Wolfgang Zorn (Hgg.), Handbuch der Geschichte der
evangelischen Kirche in Bayern, Bd. 1, Von den Anfängen des Christentums bis zum Ende
des 18. Jahrhunderts, St. Ottilien 2002, S. 159-211].
 
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