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Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Editor]; Melville, Gert [Editor]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0024
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20 I Mirko Breitenstein

Hölle ewig sein könne, wenn sie sich im Inneren der Welt befinde, da diese Welt
doch am Ende der Zeiten dem Untergang geweiht sein würde, kaum diskutiert.
Einzig der auch sonst außergewöhnlich denkende Johannes Scotus Eriugena
(t 877) thematisierte diesen Umstand im 9. Jh. und zog aus ihm den Schluss, dass
die Hölle kein realer Ort sein könne, sondern nur ein Ausdruck bildhafter Rede
wäre.23 Damit griff er möglicherweise einen Gedanken auf, der bereits bei Ori-
genes (f ca. 254) zu finden ist, einem der bedeutendsten Theologen des 3. Jahr-
hunderts: Ihm zufolge seien unter den höllischen Strafen zuvorderst die Gewis-
sensqualen zu verstehen, unter denen der Mensch leiden würde. Origenes betont
in seinen Ausführungen über die Strafe der von den Toten Auferstandenen,
dass jeder Sünder sich selbst die Flammen seines eigen Feuers anzündet und nicht
in irgendein Feuer geworfen wird, das schon vorher von einem anderen entzündet
war und vor ihm selbst existierte.24
So wie der Genuss von zu viel oder ungeeigneter Nahrung im Körper Fieber
verursache, so würde auch schlechtes Handeln oder ein Übermaß von Sünden
em fiebergleiches seelisches Feuer entzünden. Ursache hierfür sei die Erinne-
rungsfunktion des Gewissens, in dem das Leben eines Menschen allumfänglich
dokumentiert ist:
Der menschliche Geist selbst, das Gewissen, hat durch göttliche Kraft alles in sein
Gedächtnis aufgenommen, er hat beim Sündigen in sich selbst gewisse Zeichen
und Figuren eingeprägt, und so wird er alles Hässliche, Schändliche oder gar
23 Et haec est ratio quae nullum locum sensibilem et corporalem in natura, rerum inferno permit-
tit vanasque opiniones eorum destruit, qui infernum vel sub terris vel terrarum in gremio
fallacibus suis cogitatiombus autumant, ignorantes, quod ipsa terra, subtus quam vel intra
quam infernum constituunt, penitus sit peritura. Si autem terra peribit, profecto nihil sub ipsa
et in ipsa, quod inferni vocabulo dignum sit, relinquetur. Acper hoc nullus locus intra sensibi-
lem corporalemque creaturam Inferno datur, neque aeterno igm in quo impii ardebunt, neque
vermibus nunquam morituris., Johannes Scotus Eriugena, Periphyseon, lib. V, ed. Eduard A.
Jeauneau (CG.CM 165), Turnhout 2003, S. 155; vgl. Hans-Werner Goetz, Gott und die
Welt. Religiöse Vorstellungen des frühen und hohen Mittelalters, Teil 1, Band 2: II. Die ma-
terielle Schöpfung: Kosmos und Welt, III. Die Welt als Heilsgeschehen (Orbis mediaevalis
13.2), Berlin 2012, S. 115.
24 [...] quod unusquisque peccatorum flammam sibi ipseproprii ignis accendat, et non in aliquem
ignem, qui antea iamfuerit accensus ab alio vel ante ipsum substiterit, demergatur., Origenes,
De principiis libri IV / Vier Bücher von den Prinzipien, hg., übers., mit kritischen und erläu-
ternden Anmerkungen versehen von Herwig GÖRGESMANNs/Heinrich Karpp (Texte zur
Forschung 24), Darmstadt 31992, lib. II, cap. X.4, S. 428f.; zum v. a. medizinhistorischen
Kontext dieses Abschnitts vgl. Hans-Jürgen Horn, Die ,Hölle“ als Krankheit der Seele in
einer Deutung des Origenes, in: Jahrbuch für Antike und Christentum, 11/12, 1968/69,
S. 55-64.
 
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