Die Hölle im Menschen I 21
Gottlose, das er getan hat, vor seinen Augen ausgebreitet sehen, sozusagen eine
Geschichte seiner Untaten. Dann wird das Gewissen selbst durch seinen eigenen
Stachel getrieben und gepeinigt; es wird Ankläger und Zeuge gegen sich selbst. [...]
Hieraus erkennt man, dass es Qualen gibt, die im Bereich der Seelensubstanz
selbst, unmittelbar aus den schlimmen Affekten der Sünden, entstehen.25
Mit einer solchen Sicht bewegte sich Origenes zwar jenseits des Mainstreams,
aber er stand mit seinen Gedanken über die Qualität höllischer Strafen keines-
wegs allein: Der große Theologe und Bischof Gregor von Nazianz (f 390) for-
mulierte ein Jahrhundert nach Origenes über die Verworfenen des Endgerichts,
dass diese vor allem „dadurch gepeinigt würden, dass sie von Gott verworfen
sind und dass ihr Gewissen von einer nimmer endenden Schmach gedrückt
wird.“26 In der Vision des irischen Heiligen Furseus aus dem 7. Jahrhundert
meint man einen deutlichen Anklang an Origenes zu hören, wenn es heißt, dass
nur das im Menschen brenne, was er selbst entzündet habe.27 Gleichwohl ver-
mittelt die Vision selbst ein durch und durch realistisches Höllenbild. Eindeuti-
ger positionierte sich der schon erwähnte Johannes Scotus Eriugena, für den die
Strafe sündhaften Verhaltens immer und unmittelbar im Menschen erfolgte und
der deshalb auch systematisch keinen jenseitigen Strafort für nötig hielt:
Es gibt aber keine Sünde, die den Sünder nicht straft. In jedem Sünder nämlich
beginnen Sünde und Strafe gleichzeitig, weil es keine Sünde gibt, die sich nicht
selbst bestraft - dunkel freilich in diesem Leben, offenkundig aber in jenem ande-
ren, welches das künftige ist.28
25 [...] cum etiam mens ipsa vel conscientia per divinum virtutem omnia in memoriam recipiens,
quorum in semet ipsa signa quaedeam ac formas, cum peccaret, expresserat, et singulorum,
quae velfoede ac turpiter gesserat vel etiam impie commiserat, historiam quandam scelerum
suorum ante oculos videbit expositam: tune et ipsa conscientia propriis stimulis agitur atque
conpungitur et sui ipsa efficitur accusatrix et testis. [...] Ex quo intelligitur quod circa ipsam
animae substantiam tormenta quaedam ex ipsis peccatorum noxiis affectibus generantur.,
Origenes, De principiis (wie Anm. 24), lib. II, cap. X.4, S. 428, 430 (Übersetzung nach: ebd.,
S. 429, 431).
26 [...] istud excruciabit, quod a Deoproiecti sint, atque inustam in conscientia sempiternas igno-
minas notam gerant., Gregor von Nazianz, Oratio XVI.9, in: Patrologia Graeca 35, Sp. 945f.
(Übersetzung nach: Des heiligen Bischofs Gregor von Nazianz Reden, übers, von Philipp
Haeuser [Bibliothek der Kirchenväter I 59] Kempten/München 1928, S. 329).
27 So wendet sich ein Engel mit der Aussage an den entrückten Furseus: Quod non accendisti
non ardebit in te., zitiert nach: Mittelalterliche Visionsliteratur. Eine Anthologie, ausge-
wählt, übersetzt, eingeleitet und kommentiert von Peter Dinzelbacher, Darmstadt 1989,
S. 48; in der neuen Edition von Carozzi ist diese Aussage ins Positive gewendet: Quod in-
cendisti hoc arsit in te., Visio sancti Fursei, cap. 16, ed. Claude Carozzi, in: Ders., Le voya-
ge de l’äme dans l’au-delä d'apres la litterature latine (Ve-XIIIe siede) (Collection de l’Ecole
frangaise de Rome 189), Roma 1994, S. 691.
Gottlose, das er getan hat, vor seinen Augen ausgebreitet sehen, sozusagen eine
Geschichte seiner Untaten. Dann wird das Gewissen selbst durch seinen eigenen
Stachel getrieben und gepeinigt; es wird Ankläger und Zeuge gegen sich selbst. [...]
Hieraus erkennt man, dass es Qualen gibt, die im Bereich der Seelensubstanz
selbst, unmittelbar aus den schlimmen Affekten der Sünden, entstehen.25
Mit einer solchen Sicht bewegte sich Origenes zwar jenseits des Mainstreams,
aber er stand mit seinen Gedanken über die Qualität höllischer Strafen keines-
wegs allein: Der große Theologe und Bischof Gregor von Nazianz (f 390) for-
mulierte ein Jahrhundert nach Origenes über die Verworfenen des Endgerichts,
dass diese vor allem „dadurch gepeinigt würden, dass sie von Gott verworfen
sind und dass ihr Gewissen von einer nimmer endenden Schmach gedrückt
wird.“26 In der Vision des irischen Heiligen Furseus aus dem 7. Jahrhundert
meint man einen deutlichen Anklang an Origenes zu hören, wenn es heißt, dass
nur das im Menschen brenne, was er selbst entzündet habe.27 Gleichwohl ver-
mittelt die Vision selbst ein durch und durch realistisches Höllenbild. Eindeuti-
ger positionierte sich der schon erwähnte Johannes Scotus Eriugena, für den die
Strafe sündhaften Verhaltens immer und unmittelbar im Menschen erfolgte und
der deshalb auch systematisch keinen jenseitigen Strafort für nötig hielt:
Es gibt aber keine Sünde, die den Sünder nicht straft. In jedem Sünder nämlich
beginnen Sünde und Strafe gleichzeitig, weil es keine Sünde gibt, die sich nicht
selbst bestraft - dunkel freilich in diesem Leben, offenkundig aber in jenem ande-
ren, welches das künftige ist.28
25 [...] cum etiam mens ipsa vel conscientia per divinum virtutem omnia in memoriam recipiens,
quorum in semet ipsa signa quaedeam ac formas, cum peccaret, expresserat, et singulorum,
quae velfoede ac turpiter gesserat vel etiam impie commiserat, historiam quandam scelerum
suorum ante oculos videbit expositam: tune et ipsa conscientia propriis stimulis agitur atque
conpungitur et sui ipsa efficitur accusatrix et testis. [...] Ex quo intelligitur quod circa ipsam
animae substantiam tormenta quaedam ex ipsis peccatorum noxiis affectibus generantur.,
Origenes, De principiis (wie Anm. 24), lib. II, cap. X.4, S. 428, 430 (Übersetzung nach: ebd.,
S. 429, 431).
26 [...] istud excruciabit, quod a Deoproiecti sint, atque inustam in conscientia sempiternas igno-
minas notam gerant., Gregor von Nazianz, Oratio XVI.9, in: Patrologia Graeca 35, Sp. 945f.
(Übersetzung nach: Des heiligen Bischofs Gregor von Nazianz Reden, übers, von Philipp
Haeuser [Bibliothek der Kirchenväter I 59] Kempten/München 1928, S. 329).
27 So wendet sich ein Engel mit der Aussage an den entrückten Furseus: Quod non accendisti
non ardebit in te., zitiert nach: Mittelalterliche Visionsliteratur. Eine Anthologie, ausge-
wählt, übersetzt, eingeleitet und kommentiert von Peter Dinzelbacher, Darmstadt 1989,
S. 48; in der neuen Edition von Carozzi ist diese Aussage ins Positive gewendet: Quod in-
cendisti hoc arsit in te., Visio sancti Fursei, cap. 16, ed. Claude Carozzi, in: Ders., Le voya-
ge de l’äme dans l’au-delä d'apres la litterature latine (Ve-XIIIe siede) (Collection de l’Ecole
frangaise de Rome 189), Roma 1994, S. 691.