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Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Hrsg.]; Melville, Gert [Hrsg.]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0031
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Die Hölle im Menschen I 27

beständige Herausforderung. Sie blieb es nicht nur, weil in den tradierten Dar-
stellungen und den immer neuen Berichten derer, die einen Blick in das Reich
des Todes geworfen hatten, dessen Grausamkeiten in der Regel als körperlich
beschrieben worden waren. Sie blieb es nicht nur, weil, wie man wusste, Gott
keine Sünde ungestraft ließ.47 Sie blieb es nicht nur, weil die Hölle mit der Etab-
lierung der Vorstellung von einem unmittelbar auf den Tod eines Menschen fol-
genden Partikulargerichts dicht an das Leben eines Jeden heranrückte, sondern
sie blieb es vor allem auch, weil gerade diejenigen, die bereits in der Welt schon
so zu leben versuchten, als seien sie dieser Welt enthoben, unter der Unmöglich-
keit dieses Vorhabens in einer Weise litten, die ihnen selbst unüberbietbar schien.
Gerade Religiöse erfuhren eine Verzweiflung und einen seelischen Schmerz, die
so stark, ja übermächtig waren, dass sie lieber den Tod und damit die ewige Ver-
dammnis wählten als sich ihren Seelenqualen weiter auszusetzen.48 Das Gewis-
sen war als eigene Leidensinstanz etabliert, die den Menschen ebenso geistig
quälte wie er körperliche Pein erfuhr.
Einen entscheidenden Schritt über diesen zunächst nur als Ausweitung des Lei-
dens fassbaren Einbezug auch des Gewissens in das Reservoir eschatologischer
Strafen hinaus ging Abaelard (11142): So ließ er innerhalb seiner Unterredung
zwischen einem Philosophen, einem Juden und einem Christen letzteren gegen-
über seinen Gesprächspartnern zunächst bekennen, dass beide Sichtweisen - der
Glaube an eine unterirdische reale und der an eine psychologische Hölle - ihre
Anhänger hätten, wobei die eine Gruppe „in der Unterwelt nicht so sehr eine
körperliche wie eine geistige Folter“ sehe. Im Fortgang des Gesprächs aber lässt
der Tonfall seiner Rede deutliche Sympathien des Abaelard’schen ,Christen für
diejenigen erkennen, die weniger realistische Vorstellungen der Hölle haben:
[...] wie wir mit dem Namen „Himmel“, welcher der höhergelegene Teil der Welt
ist, die höchste Glückseligkeit der Seelen unterscheiden, so mit dem Namen „Un-
terwelt“ das höchste Unglück, das, wie man annimmt, umso niedriger liege, je
weiter es bekanntlich von jener höchsten Glückseligkeit entfernt sei und je weiter
es ihr entgegengesetzt zu sein scheint [...]49
47 Zur Unnachgiebigkeit Gottes vgl. Arnold Angenendt, Deus, qui nullum peccatum impuni-
tum dimittit. Ein ,Grundsatz' der mittelalterlichen Bußgeschichte, in: Matthias LutZ-Bach-
mann (Hg.), Und dennoch ist von Gott zu reden, Freiburg i. Br. 1994, S. 142-156.
48 Vgl.dieHinweiseinAnm.il.
49 Alii quippe infernum corporalem quendam locum sub terris estimant, qui ex ipsa quoque
locali positione, qua inferior sit ceteris mundi partibus, dicatur infernus; alii non tarn corpo-
rale tormentum quam spirituale arbitrantur infernum, ut, quemadmodum nomine celi, que
superior est pars mundi, summam animarum beatitudinem distinguimus, ita nomine inferni
summam miseriam, que tanto inferius iacere perhibetur quanto ab illa summa beatitudine
amphus distare cognoscitur et ei amplius contraria videtur. Sicut enim quod melius est per
excellentiam sue dignitatis dicitur altum, ita e contrario, quod peius est, per abiectionem sui
 
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