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Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Hrsg.]; Melville, Gert [Hrsg.]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0043
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Doctrina privata und doctrina publica I 39

Nonnen, 2.) Die Unterscheidung von doctrinapublica und doctrinaprivata der
Kirchenlehre und 3.) Wissensvermittlung und Äbtissinnenamt seit der hochmit-
telalterlichen Kirchenreform.
1. Die Rolle der Bildung im Selbst- und Fremdbild der Nonnen
In den Schrift- und Bildquellen tritt uns als Ideal weiblichen geistlichen Lebens
eine Nonne entgegen, die ihr Leben dem Gebet und der Fürbitte sowie der Me-
ditation widmet. Dieses Selbstbild, das sich über die innere Hinwendung zu
Gott und nicht über eine theologische Ausbildung definierte, ließ wenig Raum
für gelehrte Bildung oder systematisch ausgelegte Bibliotheken, deren Ordnung
sich wie in den Männerklöstern am universitären Curriculum, den sieben freien
Künsten, Philosophie und Theologie orientierte. In seiner spezifischen Ausprä-
gung bildete sich das Selbst- und Fremdverständnis einer quasi voraussetzungs-
losen Frömmigkeit geistlicher Frauen als Reaktion auf die veränderten Rahmen-
bedingungen aus, die mit der Kirchenreform im 12. Jahrhundert als Folge des
Investiturstreits einhergingen. Die Stellung der geistlichen Frauen änderte sich
entscheidend durch die rationale Durchdringung des Glaubens mit der begin-
nenden Scholastik. Die Ausbildung der Kleriker an den Domschulen und Uni-
versitäten befähigte sie zu Predigt, Bibelexegese und zur Spendung der Sakra-
mente, während das Kirchenrecht den Frauen diese Dinge verbot. Das Verbot
war freilich so alt wie die Kirche selbst, doch wurden diese Vorschriften nun im
Alltag der Nonnengemeinschaften durchgesetzt.14 Scharfsichtig nennt Hilde-
gard von Bingen dieses Vorrecht des Klerus „den Schlüssel des Wissens“ (clavis
scientie), womit sie nicht nur die Exklusion nicht berechtigter Kreise, nämlich
der Frauen und der Laien, sondern auch die Bedeutung der theologischen Aus-
bildung als Zugangsbeschränkung auf den Punkt brachte.15 Als die Vorausset-
zungen für das Klerikeramt und die Zuständigkeiten in der Kirchenhierarchie
genauer definiert wurden, verschlechterte sich die Stellung der geistlichen
Frauen spürbar. Kirchenrechtlich galten auch geweihte Nonnen als Laien, und
14 Vgl. zu den kirchenrechtlichen Grundlagen und deren Durchsetzung Schlotheuber, Klos-
tereintritt (wie Anm. 7), S. 107; Katie Bugyis hat jüngst in den früh- und hochmittelalterli-
chen englischen Frauenklöstern die intensive Beicht- und Predigttätigkeit und die Beteili-
gung insbesondere der Äbtissinnen am liturgischen Geschehen nachgewiesen, Katie Bugyis,
The Gare of Nuns: The Mimstries of Benedictine Women in England during the Central
Middle Ages, New York 2019.
15 Hildegardis Bingensis Epistolarium, ed. Lieven van Acker (Corpus Christianorum. Conti-
nuatio Mediaevalis 91, 91A), Turnhout 1991-2001, Ep. 15R (Hildegardis ad pastores eccle-
siae), S. 34-44.
 
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