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Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Hrsg.]; Melville, Gert [Hrsg.]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0044
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40 I Eva Schlotheuber

um eine klare Trennung von Klerus und Laien rang man existentiell in Zeiten
des Investiturstreits. Den Frauen wurde nun das Betreten des Altarraums ver-
boten, der den Klerikern vorbehalten blieb.
In der Folgezeit manifestierte sich die geänderte Stellung der geistlichen
Frauen in der Kirchenhierarchie auch im Raum. Die Nähe ihres Chorgestühls
zum Altarraum erschien jetzt unangebracht, für sie wurde im Westen, dem tra-
ditionellen Ort der Laien, ein eigner Raum geschaffen - die Nonnenemporen.
Gegenüber den Laien erscheint ihre Stellung erhöht, doch deutlich abgegrenzt
vom Sakralraum im Osten, der den Klerikern vorbehalten war. Die Exklusion
nicht berechtigter Kreise, der Laien und der Nonnen, war als neue Ordnung
nun also im Kirchenraum direkt ablesbar.16 Als Begründung für die Unterord-
nung geistlicher Frauen unter die Klerikergewalt wurde ihre „Schwäche“, die
infirmitas, angeführt, die ihnen in Anlehnung an Aristoteles keine volle Entfal-
tung der Verstandeskräfte ermöglichte.17 Reformeranhängern wie dem Regens-
burger Domscholaster Idung von Prüfening (um 1150) zufolge erforderte eben
diese weibliche Schwäche ihren besonderen Schutz, die strenge Klausur.18 Aus-
geschlossen von der vernunftmäßigen Gotteserkenntnis entfaltete sich das geist-
liche Leben der Frauen in der Folgezeit deshalb auf einem grundsätzlich anderen
Fundament als das der Männer. Während für die Männern die Annäherung an
Gott über die verstandesmäßige Einsicht, über die ratio, entscheidend wurde,
erreichten die Frauen die größtmögliche Annäherung an die sakrale Sphäre über
ihre körperliche Unversehrtheit, die virginitas, nach dem Vorbild Mariens. Die
neu formulierte Stellung formte sowohl in negativer als auch in positiver Hin-
sicht das Selbst- und Fremdbild der Nonnen: Ihre Schwäche war der Grund für
den Ausschluss von der rationalen Gotteserkenntnis, doch prädestinierte sie die
Frauen andererseits für die besondere Gnade Gottes und Nähe zum Bräutigam
Christus. Dadurch konnte sich die eigene Schwäche gleichsam in eine besondere
Stärke wandeln, wie auch Hildegard von Bingen als Selbstlegitimation immer
wieder betont.19 Diese Grundbedingungen für autorisiertes Sprechen ließ auch
in der Selbstwahrnehmung die konkrete Ausbildung in der Klosterschule fast
zwangsläufig in den Hintergrund treten. Im Unterlindener Schwesternbuch
wird die „geistige Armut“ als kollektives Selbstbewusstsein in der Einleitung

16 Vgl. Schlotheuber, Neue Grenzen (wie Anm. 10), S. 94.
17 Elisabeth Gössmann, Anthropologie und soziale Stellung der Frau nach den Summen und
Sentenzen des 13. Jahrhunderts, in: Albert Zimmermann (Hg.), Soziale Ordnungen im
Selbstverständnis des Mittelalters, Halbbd. 1, Berlin/New York 1979, S. 218-297.
18 Robert B. C. Huygens (Hg.), Le moine Idung et ses deux ouvrages: Argumentum super
quattuor questionibus et Dialogus duorum monarchorum (Studii Mediavali. Bibhoteca 11),
Spoleto 1980, c. 361, S. 75.
 
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