Metadaten

Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Editor]; Melville, Gert [Editor]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0045
License: Free access  - all rights reserved

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Doctrina privata und doctrina publica I 41

zu den Schwesternviten klar zum Ausdruck gebracht: „Wir haben alles für
Christus verachtet, um als wahrhaft arm im Geist Christi (Mt, 5,3) der wahren
Weintraube zu folgen“.19 20 Die konkrete Ausbildung der Nonnen in der Kloster-
schule wird dementsprechend auch in den lateinischen Lebensbeschreibungen
der Dominikanerinnen von Unterlinden nicht explizit thematisiert. Die
Schwesternviten lassen den Lateinunterricht der Dominikanerinnen und den
hohen Bildungsstandard der magistra durchaus erkennen,21 doch wird das ei-
gene Wissen regelmäßig in der göttlichen Gnade, nicht im konkreten Unter-
richt in der Lateinschule verortet. Dieser Selbst- und Fremdkonstruktion einer
vermeintlichen „Einfältigkeit“ und „Ungelehrheit“ geistlicher Frauen ist die
Forschung lange gefolgt.
Die innere Angleichung der Nonnen an den Bräutigam Christus wurde in
erster Linie als eine beständige Frömmigkeitsübung verstanden, die als Ideal
keiner theologischen Kenntnisse im engeren Sinne bedurfte. Den Frauen selbst
war aber vollkommen bewusst, dass ein Gemeinschaftsleben in strenger Klau-
sur ein tiefergehendes und selbständig durchdrungenes Verständnis der theolo-
gischen Grundlagen voraussetzte. Darüberhinaus stellte allein die Bewältigung
des Klosteralltags eine nicht zu unterschätzende organisatorisch-wirtschaftliche
Herausforderung dar, da nicht selten 60 bis 80 Konventsmitglieder mit ganz un-
terschiedlichen Bedürfnissen, Alten und Kranken, Kindern und Heranwach-
senden, oft ein Leben lang auf eng begrenztem Raum zusammenlebten. Gerade
der eng begrenzte Lebensraum erforderte und förderte die Selbstorganisation
19 John van Engen, Leiters and the Public Persona of Hildegard, in: Alfred Haverkamp (Hg.),
Hildegard von Bingen in ihrem historischen Umfeld. Internationaler wissenschaftlicher
Kongress zum 900jährigen Jubiläum, 13.-19. September 1998, Bingen am Rhein, Mainz 2000,
S. 374-418, hier S. 410; zu dieser Form der Autorisierung von Autorschaft: Meier, Autor-
schaft (wie Anm. 6).
20 Jeanne Ancelet-Hustache (Hg.), Les ,Vitae Sororum' d’Unterlinden: Edition critique du
ms. 508 de la bibliotheque de Colmar, in: Archives d’histoire doctrinale et litteraire du mo-
yen äge 5, 1931, S. 317-513, hier S. 336 (vere pauperes spiritu secute Christo viti vere votis
omnibus adheserunt).
21 Ebd., c. 25, S. 411, beispielsweise über Adelheid de Apiaco, die von Kindheit an in Unterlin-
den gelebt hat und deshalb diese Fähigkeiten im Kloster erworben haben muss: Sane in of-
ficus monasterii plurimis et diversis multum et utiliter laboravit, plures libros, et precipue ad
divinum in choro officium pertinentes, valde eleganter conscripsif, oder auch zu Gertrud von
Rheinfelden, die ebenfalls von Kindesbeinen an in Unterlinden lebte, c. 33, 431: Litteris
quoque valde bene et conpetenter inbuta, scribendi tenens officium multis annis, libros chori
ad divinum officium pertinentes et alios quam plures magno Studio et eleganter nimis
conscripsit. In hiis ergo ceterisque huius mo.nasterii necessariis etprecipue in litterarum dicta-
mine, in quo plurimum excellebat, quamdiu vixit, ad communem utilitatem excellebat,
quamdiu vixit, ad communem utilitatem sollicite laborare non destitit; aus diesen Randinfor-
mationen lässt sich ein anspruchsvoller lateinischer Klosterschulunterricht in Unterlinden
rekonstruieren.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften