42 I Eva Schlotheuber
und ein hohes Reflexionspotential der Nonnen. Da die zukünftigen Nonnen in
der Regel von Kindheit an im Kloster lebten, mussten ihnen die notwendigen
Kompetenzen in der Klosterschule vermittelt wurden. Die Kirche verbot den
Frauen zwar das Lehramt und öffentliche Äußerungen zu religiösen Fragen,
doch wie sah es mit dem Erwerb gelehrter Bildung aus?
2. Die Unterscheidung von doctrina publica und doctrina privata
der Kirchenlehre
Die Zuordnung von Wissen zu bestimmten sozialen Gruppen, aber eben auch
zu den Geschlechtern war ein wirkmächtiger Teil der mittelalterlichen und
frühneuzeitlichen Gesellschaftsordnung. Ein jeder lernte, „was er gemäß seinem
Stand wissen musste“ (wes er schuldig ist ze wissen nach sinem stant dar inne er
ist), wie es in einem Traktat des 15. Jahrhunderts heißt.22 Für den Wissenszu-
gang der religiösen Frauen war deshalb entscheidend, welche Aufgaben und
Kompetenzen die Kirche ihnen zuwies. Der dominikanische Gelehrte Thomas
von Aquin (1225-1274) erklärte in aller wünschenswerten Klarheit die Stellung
der Frau in Bezug auf Kirchenlehre und Predigt. Die „Gnade der Predigt der
Weisheit und der Wissenschaft“ (gratia sermoms sapientiae et scientiae, Jes. 11,1-3),
sagt Thomas von Aquin, kommt offenbar auch den Frauen zu und von dieser
Gnade ist die Lehre (doctrina) abhängig.23 Auch die Lehre steht der Frau somit
zu (nach Prov. 4: „Der einzige Sohn war ich meiner Mutter und sie lehrte
mich“).24 In einem nächsten Schritt geht Thomas von Aquin auf die Autorisie-
rung von Lehre ein, die grundsätzlich unterteilt wird in die prophetische Gnade
(gratia prophetiae) und in die „gelehrte Rede“ (sermo). Dabei steht die „Gnade
22 Almut Breitenbach, Der .Oberdeutsche vierzeilige Totentanz“: Formen seiner Rezeption
und Aneignung in Handschrift und Blockdruck (Spätmittelalter - Humanismus - Reforma-
tion 88), Tübingen 2015, S. 173.
23 Thomas Aquinas Opera omnia Bd. 2, ed. Robert Busa, Stuttgart-Bad Cannstatt 1980, Sum-
ma Theologie, Ila Ilae q. 177 a. 2 arg. 1, S. 741: Videtur quod gratia sermoms sapientiae et
scientiae pertineat etiam ad mulieres. Ad huiusmodi enim gratiam pertinet doctrina, sicut
dictum est. Sed docere competit mulieri, dicitur enim Prov. IV, ,umgenitus fui coram matre
mea, et docebat me‘. Ergo haec gratia competit mulieribus-, vgl. insgesamt zur Stellung der
Frau in der Amtskirche Gerhard Ludwig Müller (Hg.), Der Empfänger des Weihesakra-
ments. Quellen zur Lehre und Praxis der Kirche, nur Männern das Weihesakrament zu spen-
den, Würzburg 1999, S. 111-113.
24 Thomas Aquinas Opera omnia Bd. 2, ed. Robert Busa, Stuttgart-Bad Cannstatt 1980, Sum-
ma Theologie, Ila Ilae q. 177 a. 2 arg. 1, S. 741: Videtur quod gratia sermonis sapientiae et
scientiae pertineat etiam ad mulieres. Ad huiusmodi enim gratiam pertinet doctrina, sicut
dictum est. Sed docere competit mulieri, dicitur enim Prov. IV, ,unigenitus fui coram matre
mea, et docebat me‘. Ergo haec gratia competit muheribus.
und ein hohes Reflexionspotential der Nonnen. Da die zukünftigen Nonnen in
der Regel von Kindheit an im Kloster lebten, mussten ihnen die notwendigen
Kompetenzen in der Klosterschule vermittelt wurden. Die Kirche verbot den
Frauen zwar das Lehramt und öffentliche Äußerungen zu religiösen Fragen,
doch wie sah es mit dem Erwerb gelehrter Bildung aus?
2. Die Unterscheidung von doctrina publica und doctrina privata
der Kirchenlehre
Die Zuordnung von Wissen zu bestimmten sozialen Gruppen, aber eben auch
zu den Geschlechtern war ein wirkmächtiger Teil der mittelalterlichen und
frühneuzeitlichen Gesellschaftsordnung. Ein jeder lernte, „was er gemäß seinem
Stand wissen musste“ (wes er schuldig ist ze wissen nach sinem stant dar inne er
ist), wie es in einem Traktat des 15. Jahrhunderts heißt.22 Für den Wissenszu-
gang der religiösen Frauen war deshalb entscheidend, welche Aufgaben und
Kompetenzen die Kirche ihnen zuwies. Der dominikanische Gelehrte Thomas
von Aquin (1225-1274) erklärte in aller wünschenswerten Klarheit die Stellung
der Frau in Bezug auf Kirchenlehre und Predigt. Die „Gnade der Predigt der
Weisheit und der Wissenschaft“ (gratia sermoms sapientiae et scientiae, Jes. 11,1-3),
sagt Thomas von Aquin, kommt offenbar auch den Frauen zu und von dieser
Gnade ist die Lehre (doctrina) abhängig.23 Auch die Lehre steht der Frau somit
zu (nach Prov. 4: „Der einzige Sohn war ich meiner Mutter und sie lehrte
mich“).24 In einem nächsten Schritt geht Thomas von Aquin auf die Autorisie-
rung von Lehre ein, die grundsätzlich unterteilt wird in die prophetische Gnade
(gratia prophetiae) und in die „gelehrte Rede“ (sermo). Dabei steht die „Gnade
22 Almut Breitenbach, Der .Oberdeutsche vierzeilige Totentanz“: Formen seiner Rezeption
und Aneignung in Handschrift und Blockdruck (Spätmittelalter - Humanismus - Reforma-
tion 88), Tübingen 2015, S. 173.
23 Thomas Aquinas Opera omnia Bd. 2, ed. Robert Busa, Stuttgart-Bad Cannstatt 1980, Sum-
ma Theologie, Ila Ilae q. 177 a. 2 arg. 1, S. 741: Videtur quod gratia sermoms sapientiae et
scientiae pertineat etiam ad mulieres. Ad huiusmodi enim gratiam pertinet doctrina, sicut
dictum est. Sed docere competit mulieri, dicitur enim Prov. IV, ,umgenitus fui coram matre
mea, et docebat me‘. Ergo haec gratia competit mulieribus-, vgl. insgesamt zur Stellung der
Frau in der Amtskirche Gerhard Ludwig Müller (Hg.), Der Empfänger des Weihesakra-
ments. Quellen zur Lehre und Praxis der Kirche, nur Männern das Weihesakrament zu spen-
den, Würzburg 1999, S. 111-113.
24 Thomas Aquinas Opera omnia Bd. 2, ed. Robert Busa, Stuttgart-Bad Cannstatt 1980, Sum-
ma Theologie, Ila Ilae q. 177 a. 2 arg. 1, S. 741: Videtur quod gratia sermonis sapientiae et
scientiae pertineat etiam ad mulieres. Ad huiusmodi enim gratiam pertinet doctrina, sicut
dictum est. Sed docere competit mulieri, dicitur enim Prov. IV, ,unigenitus fui coram matre
mea, et docebat me‘. Ergo haec gratia competit muheribus.