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Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Hrsg.]; Melville, Gert [Hrsg.]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0051
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Doctrina privata und doctrina publica I 47

Schutz gegen die Widersacher bieten: Nam sicut montes plurimis ad defensionem
inimicorum suorum sunt, sic etiam qui in magisterio stant, per doctrinam et per
oboedientiam que in Deo eis exhibetur defensio multorum ab insidiis inimico-
rum suorum suntN Zu den für das Amt der Äbtissin benötigten Fähigkeiten
gehörte zudem die intellektuelle Schulung der Unterscheidungskraft, also die
discretio, die, so Christel Meier, „kritisch abwägt, Gut und Schlecht unter-
scheidet und das Handeln mit der Wahl des Guten so präformiert“.37 38 Sie er-
wuchs Hildegard zufolge aus der doctrina und stellt die „Mutter aller Tugen-
den“ dar.39 Die zahllosen Briefe der Äbtissinnen an Hildegard lassen aber vor
allem erkennen, wie schwierig und konfliktträchtig das Amt der Klostervorste-
herinnen alten Zuschnitts im 12. Jahrhundert war. Wie Franz J. Felten hervor-
hebt, gewinnt man bei der Lektüre der Briefe „den Eindruck, die Probleme in
der Amtsführung bzw. der Wunsch, dieser Last zu entfliehen, sei im 12. Jahr-
hundert das zentrale Anliegen der Oberen gewesen [.. .].“40 Vor der großen Klos-
terreform waren die Äbtissinnen der Frauenstifte und alten Benediktinerabteien
weitgehend autonom gewesen; nur mit Mühe - und keinesfalls immer - konnten
sich die Bischöfe und damit die Kirchenhierarchie gegen die mächtigen Frauen
durchsetzen.41 Ihre „Führungsqualitäten“, also das „Recht zu herrschen“, bezo-
gen die Damen nicht zuletzt aus ihren verwandschaftlichen Beziehungen, aus
ihrer Herkunft aus dem Hochadel.42 Aus dieser Haltung heraus bestimmten die
Liudolfinger wie so viele andere Stifter bei der Gründung ihres Hausklosters

37 Hildegardis Bmgensis Epistolarium (wie Anm. 15), Ep. CLXXIV R, S. 396-397; die Äbtissin
von St. Glodesindis hatte in ihrem Brief auf die große Verantwortung gegenüber der ihr an-
vertrauten Gemeinschaft hingewiesen, von der sie nicht wisse, ob sie sie erfüllen könne: [...]
nolumus vos latere, quod in periculo magno posite sumus, dum multorum animas regere cogi-
mur que nobis non sufficimus.
38 Christel Meier, Prudentia (Phronesis) als Erkenntnisvermögen in Dichtung und Philoso-
phie des Hochmittelalters, in: Gyburg Radke-Uhlmann (Hg.), Phronesis - Die Tugend der
Geisteswissenschaften. Beiträge zur rationalen Methode in den Geisteswissenschaften, Hei-
delberg 2012, S. 131-165, hier S.135.
39 In dem Mahnschreiben an die Äbtissin Elisabeth von St. Thomas am Kyll heißt es, Hildegar-
dis Bingensis Epistolarium (wie Anm. 15), Ep. CXCVIII, S. 450f.: [...] disce ut discretionem
habeas que in celestibus et terrestribus mater omnium virtutum existit, quoniam per ipsam
anima regitur et corpus [...].
40 Franz Josef Felten, Novi esse volunt... deserentes bene contritam viam. Hildegard von Bin-
gen und Reformbewegungen im religiösen Leben ihrer Zeit, in: Rainer Berndt (Hg.), Im
Angesicht Gottes suche der Mensch sich selbst. Hildegard von Bingen (1098-1179), Berlin
2001, S. 27-86, hier S. 56.
41 Claudia Märtl, pos verstockt weyber't Der Streit um die Lebensform der Regensburger Da-
menstifte im ausgehenden 15. Jahrhundert, in: Lothar KoLMER/Peter Segl (Hgg.), Regens-
burg, Bayern und Europa. Festschrift für Kurt Reindel zum 70. Geburtstag, Regensburg
1995, S. 365-405.
 
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