Metadaten

Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Hrsg.]; Melville, Gert [Hrsg.]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0053
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Doctrina privata und doctrina publica I 49

eigenen Rechte im regionalen Machtgefüge oder gegenüber der Kirchenhierar-
chie übernahmen nun ein Propst oder für die Zisterzienserinnen, die Klarissen
oder Dominikanerinnen ein Vertreter der Ordens.
Da die männlichen Betreuer nun einen wesentlichen Teil der Aufgaben nach
außen übernahmen, konnte und wird sich die Leitungsfunktion der Äbtissinnen
nach innen intensiviert und professionalisiert haben. Die Äbtissinnnen scheinen
zunehmend ein Ämtercurriculum durchlaufen zu haben, um in einer sich aus-
differenzierenden Welt die für das Leitungsamt notwendigen intellektuellen
und organisatorischen Fähigkeiten zu erwerben. Eine solche Professionalisie-
rung der ordensinternen Ausbildung des Nachwuchses mit einem festen Ämter-
curriculum fassen wir im 13. Jahrhundert deutlich bei den Bettelorden. Das neue
Anforderungsprofil setzt voraus, dass das Idomtätsprinzip bei der Wahl der
Vorsteherinnen an Gewicht gewann. Die von Adelsvorrechten geprägten Frau-
enklöster und -stifte alten Typs konnten diese Umstellung und Professionalisie-
rung nur schwer bewältigen.44 Die Reformklöster des 12. Jahrhunderts und spä-
ter die Bettelorden entwickelten meines Erachtens auch eine neue Vorstellung
vom Zuschnitt des Leitungsamtes. Wohl nicht zufällig sollte die Äbtissin des
altehrwürdigen Lippoldsberg nach der Reform um 1100 nur noch Priorin ge-
nannt werden.45 Ihre Amtsautorität sollte sich ausschließlich nach innen wen-
den. Das Leitungsamt wurde dadurch tiefer in die Gemeinschaft eingebunden.
Die Konvente mussten bei der Wahl der Vorsteherinnen nun die „Führungsqua-
litäten“ ihrer zukünftigen Vorsteherin bedenken und der familiären Herkunft
kam nicht mehr die alles entscheidene Stellung zu. Das erweiterte natürlich auch
den Kreis der Kandidatinnen in bedeutsamer Weise. Obwohl faktisch die Her-
kunft weiterhin eine Rolle spielte, verlagerte sich der Fokus des Amtes stärker
44 Vgl. zu Ablauf der Äbtissinnenwahl und Leitungsstruktur in den spätmittelalterlichen Da-
menstiften Sabine Klapp, Das Äbtissinnenamt in den unterelsässischen Frauenstiften vom
14. bis zum 16. Jahrhundert, umkämpft, verhandelt, normiert, Berlin 2012.
45 Ihre Stellung wurde sowohl faktisch als auch in der Titulatur durch die Einsetzung des pater
spiritualis als „geistlicher Vater“ gemindert. Der Propst, „der niemals fehlen soll“ (quinum-
quam loco deesse debet), ist jetzt das Haupt innerkonventualer Hierarchie, Die Urkunden bis
zum Tode Erzbischof Adalberts I, Mainzer Urkundenbuch, ed. Manfred SriMMiNG/Peter
Acht, Bd. 1, Darmstadt 1932, Nr. 405, S. 311; Michel Parisse, Die Frauenstifte und Frauen-
klöster in Sachsen vom 10. bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts, in: Stefan Weinfurter/Hu-
bertus Seibert (Hgg.), Die Salier und das Reich 2: Die Reichskirche in der Saherzeit, Sigma-
ringen 1991, S. 465-501, hier S. 489; Hedwig Röckelein, Die Auswirkung der Kanoniker-
reform des 12. Jahrhunderts auf Kanonissen, Augustinerchorfrauen und Benediktinerinnen,
in: Franz J. FELTEN/Annette KEHNEL/Stefan Weinfurter (Hgg.), Institution und Charis-
ma: Festschrift für Gert Melville, Köln 2009, S. 55-72, hier S. 60: „Zunächst und vor allem
führte die Reform zur Entmachtung der Abtissinnen, die in den Kanonissenstiften mit um-
fassenden Rechten ausgestattet waren.“
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften