Metadaten

Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Hrsg.]; Melville, Gert [Hrsg.]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0062
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
58 I Volker Leppin

Perugia unter Leitung des Generalministers Michael von Cesena23 am 4. oder 6. Juni
1322 gegen diese neuerliche Öffnung der Frage und erklärte, hierdurch Status
nostre professionis et regule speciahter tangitur et recte24. Immer mehr also rückte
die Existenzfrage des Ordens in den Mittelpunkt der Debatte, und die weiteren
Verlautbarungen des Papstes steigerten dies noch: Am 8. Dezember 1322 erließ
Johannes XXII. zur Entscheidung der offenen Frage die Bulle Ad conditorem25.
In ihr legte Johannes XXII. nicht nur dar, dass die Bulle seines Vorgängers Niko-
laus III. mehr Unfrieden als Frieden im Orden geschaffen habe26, sondern ver-
wies auch auf innere Unstimmigkeiten: Dass Nikolaus III. gar nicht intendiert
habe, ein umfassendes Eigentum an dem Besitz der Franziskaner für die Kirche
zu reklamieren, sei schon am Beispiel der Verbrauchsgüter wie Nahrung und
anderem zu sehen, bei denen es gar nicht möglich sei, den usus, der sie ja zugleich
vernichte, von der proprietas zu unterscheiden27 28. Aus alldem zog Johannes XXII.
den Schluss, dass alle besonderen Rechtstitel, die seine Vorgänger erteilt hätten,
habeantur prorsus [...] pro non factis23, also nichtig seien. „Mit dieser Bulle traf
er“, wie Jürgen Miethke zu Recht schreibt, „den Orden an seiner empfindlichs-
ten Stelle“29, zumal die Entscheidung verbunden war mit polemischen
Äußerungen über die bloß verbalen, in der Sache aber nicht nachvollziehbaren
23 Vor den Auseinandersetzungen des theoretischen Armutsstreits hatte Michael im Kampf ge-
gen die Spiritualen während des praktischen Armutsstreits ganz auf der Seite Papst Johannes
XXII. gestanden (s. Miethke, Johannes XXII. [wie Anm. 4], S. 288).
24 K. Müller, Einige Aktenstücke und Schriften zur Geschichte der Streitigkeiten unter den
Minoriten in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 6,
1884, S. 63-112, 107; vgl. zu diesem Generalkapitel Carlo Dolcini, Crisi di potere e polito-
logia in crisi. Da Sinibaldo Fieschi a Guglielmo d’Ockham (II mondo medievale 17), Bologna
1988, S. 155; Eva Luise Wittneben, Bonagratia von Bergamo. Franziskanerjurist und Wort-
führer seines Ordens im Streit mit Papst Johannes XXII. (Studies in Medieval and Reforma-
tion Thought 90), Leiden/Boston 2003, S. 111-158, hat überzeugend dargelegt, dass sich der
Tractatus de paupertate Bonagratias di Bergamo genau vor dem Hintergrund dieser aktuellen
Auseinandersetzungen verstehen lässt. Für den Umfang der Streitigkeiten ist bemerkens-
wert, dass man davon ausgehen kann, dass die Verlautbarung der Franziskaner in „mehr als
hundert Exemplaren an verschiedene Adressaten in Europa“ gesandt wurde (Jürgen Mieth-
ke, De potestate papae. Die päpstliche Amtskompetenz im Widerstreit der politischen The-
orie von Thomas von Aquin bis Wilhelm von Ockham [Spätmittelalter und Reformation.
NR 16], Tübingen 2000, S. 264).
25 Bullarium Franciscanum (wie Anm. 4), Bd. 5, Sp. 233-246 (Nr. 486).
26 Ebd., Sp. 234-237. 243 (Nr. 486); vgl. zur Problematik der res consumptibiles und ihrem Hin-
tergrund im römischen Recht John Kilcullen, The Political Writings, in: Paul Vincent Spa-
de (Hg.), The Cambridge Companion to Ockham, Cambridge 1999, S. 302-325, 306; Jona-
than Robinson, William of Ockham on the Right to (ab-)use Goods, in: Franciscan Studies
67, 2009, S. 247-274, S. 355.
27 Bullarium Franciscanum (wie Anm. 4), Bd. 5, Sp. 238 (Nr. 486).
28 Ebd., Sp. 245 (Nr. 486).
29 Miethke, Sozialphilosophie (wie Anm. 2), S. 378f.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften