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Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Hrsg.]; Melville, Gert [Hrsg.]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0065
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Das urkirchliche Ideal der Franziskaner als Maßstab der Kirche I 61

2. Die „franziskanische Option" Wilhelms von Ockham
Diese einzelnen Schritte sind nur eine Auswahl aus dem dichten Gefüge von
Aktionen und Reaktionen, durch welches sich immer mehr ein Konflikt zwi-
schen Johannes XXII. und dem renitenten Teil des Franziskanerordens heraus-
kristallisierte44 45 46. Deren Aufgabe war es, die eigene Übereinstimmung mit der
bislang geltenden Kirchenlehre nachzuweisen, und eben in diesen Dienst stellte
sich nun Wilhelm von Ockham, der, kann man seinen Worten Glauben schen-
ken, eher zufällig in die Auseinandersetzungen hineingeraten war, nun aber
bewusst die „franziskanische Option“ ergriff. Er habe, so schrieb er 1334 dem
zu Pfingsten in Assisi versammelten Generalkapitel der Franziskaner, ehe er
selbst 1324 - wohl aufgrund von Anklagen seines früheren Oxforder Universi-
tätskanzlers43 - nach Avignon gekommen war, von den Streitigkeiten nichts ge-
wusst und erst gegen Ende seines dortigen Aufenthaltes erkannt, praesidentem
ibidem pravitatem haereticam incurrisse^. Erst auf Geheiß seines Ordensobe-
ren, also Michaels, habe er hier die Bullen Ad conditorem, Cum inter nonnullos
und Quia quorundam gelesen und mit Schrecken ihren häretischen Charakter
44 Der verbleibende Orden konstituierte sich neu unter der Oberhoheit des Papstes auf einem
Generalkonzil in Paris, das am 11. Juni 1329 die Absetzung Michaels von Cesena bestätigte
und zu seinem Nachfolger Guiral Ot wählte (Miethke, Sozialphilosophie [wie Anm. 2],
S. 425). Die Gruppe um Michael wurde zur Minderheit im eigenen Orden: „Der Franziska-
nerorden nahm in seiner großen Mehrheit an dem Bruch mit Papst und Kurie, den die Or-
densleitung aller franziskanischen Tradition zum Trotz wagte, keinen Anteil, verharrte viel-
mehr im alten Gehorsam“ (Miethke, Johannes XXII. [wie Anm. 4], S. 311).
45 S. hierzu Leppin, Ockham (wie Anm. 2), S. 105-111.
46 Ockham, Epistola ad fratres minores, in: Guillelmi de Ockham Opera Politica. Bd. 3, hg. von
Hillary S. Offler, Manchester 1956, S. 6, 9-11; für die neuerdings von Massimiliano
Traversini, The Western Church under Pope John XXII. Political and Theological Stakes
in the Trials of Meister Eckhart and William of Ockham, in: Divus Thomas 115, 2012,
S. 368-389, S. 381, wieder aufgegriffene Annahme von Georg Knysh, Biographical Rectifi-
cations Concerning Ockham’s Avignon Period, in: Franciscan Studies 46, 1986, S. 61-91,
S. 70-72, Ockham habe in Avignon unbehelligt am Ordensstudium gelehrt, gibt es keine
positiven Belege; das Schreiben Johannes' XXII. vom 1. Juni 1328, das von einer Untersu-
chung inchoata [...] tarn est annus elapsus spricht (ebd. S. 64), belegt den späten Beginn der
eigentlichen Untersuchung, sagt aber nichts über die Gründe des bisherigen Aufenthaltes
Ockhams in Avignon. Die umfangreich vorhandenen Prozessakten (s. Josef Koch, Neue
Aktenstücke zu dem gegen Wilhelm Ockham in Avignon geführten Prozeß, in: Recherches
de theologie ancienne et medievale 7, 1935, S. 353-380; 8, 1936, S. 79-93, S. 168-197; s. zum
Prozess Leppin, Ockham [wie Anm. 2], S. 133-139) machen deutlich, dass die Auseinander-
setzungen mit Lutterell entscheidend waren, die, zu der üblichen Chronologie passend,
schon 1323 in England vor einem Franziskanerkapitel verhandelt wurden (Gerald Etzkorn,
Ockham at a Provincial Chapter: 1323. A Prelude to Avignon, in: Archivum Franciscanum
Historicum 83, 1990, S. 557-567). Man wird also weiterhin davon ausgehen dürfen, dass
Ockham aufgrund der Anklagen Lutterells 1324 nach Avignon kam.
 
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